ADHS
Aus psych-med
Grundlagen
- = Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) = Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom = Hyperkinetische Störung (HKS)
- psychiatrische Entwicklungsstörung → Symptome seit Kindesalter
- 80% genetische Faktoren, 20% prä-/peri-/postnatale Umwelteinflüsse
- Prävalenz: 5% → häufigste psychiatrische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen
- Jungen:Mädchen = 3-4:1
- Verlauf:
- 40-80% noch in Adoleszenz
- mind. 30% noch im Erwachsenenalter
- Symptomverschiebung:
- Kinder: v.a. hyperkinetische Störungen
- Erwachsenen: v.a. innere Unruhe, Unaufmerksamkeit, Planungsschwierigkeiten, Impulsivität, emotionale Dysregulation
- Ätiologie: neurobiologisch bedingte Abweichung im Verhalten
- Verminderung des Gehirnvolumens und funktionelle Defizite bestimmter Kerngebiete
- anatomische und funktionelle Abweichungen bei Leitungsbahnen im Gehirn
- Neurotransmitter-Störung, v.a. Dopamin, Noradrenalin, Glutamat
- bei angemessener Behandlung (Methylphenidat) langfristige Erholung von beeinträchtigten Gehirnfunktionen (bildgebend nachgewiesen)
Diagnose
- Kriterien: ICD-10-ADHS
- ICD-11 Entwurf: "Aufmerksamkeitsdefizitstörungen sind gekennzeichnet durch andauerndes Verhalten von Unaufmerksamkeit oder Überaktivität und Impulsivität, mit Beginn während der Entwicklung (typischerweise vor dem Alter von fünf Jahren), die außerhalb der Grenzen normaler Variation bezüglich Alter und Fähigkeiten liegen und schulische oder berufliche Tätigkeiten entscheidend beeinträchtigen."
- Anamnese
- Fremdanamnese: Eltern, Erzieher/Lehrer
- neuropsychologische Testdiagnostik: mind. 1-2h → Intelligenzdiagnostik, Verhaltensbeobachtung
- neurologische Untersuchung, Entwicklungsdiagnostik
- Verhaltensbeobachtung
- Schweregrade nach Intensität, Generalisierung, Funktionsniveau
- leicht: nicht behandlungsbedürftig, höhere Kreativität, etwas weniger impulsgehemmt, kann sich nicht so gut konzentrieren
- mittelschwer: behandlungsbedürftig, häufig Komorbiditäten; ohne Behandlung Schulversagen/Versagen im Beruf wahrscheinlicher
- schwer: gestörtes Sozialverhalten, stark erhöhtes Risiko für Suchtverhalten/Kriminalität; Behandlung → (Re-)Sozialisierung
- Untergruppen;
- vorherrschend unaufmerksam
- vorherrschend hyperaktiv-impulsiv
- gemischt
- mit Störung des Sozialverhaltens
- Differentialdiagnose und/oder Komorbiditäten:
- Lernbehinderung/Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten: bei ca. 50%
- tiefgreifende Entwicklungsstörung
- medikamenteninduziert: Steroide, Sympathomimetika, Phenobarbital, Antihistaminika
- organische Erkrankungen (Hyperthyreose)
- cerebrale Erkrankungen (Epilepsie)
- autistische Störung
- Ticstörung
- Psychose, BPS, Angststörungen, Manie, Sucht, Depression x5, Schlafstörungen, Zwangsstörung x3
- chaotische Familienverhältnisse, Misshandlung, Vernachlässigung
Therapie
allgemein
- nach Schweregrad der Störung:
- Bezugspersonen einbeziehen
- multimodal: Psychotherapie, psychosoziale Interventionen, Coaching, Pharmakotherapie
- Bestandteile:
- Psychoedukation: Patient, Eltern, Erzieher/Klassenlehrer, Partner
- Elterntraining und Hilfen in der Familie (einschließlich Familientherapie)
- Hilfen in Kindergarten/Schule: spezielle Förderungen (Ergotherapeuten, Schulpsychologen), Klassen-/Schulwechsel
- Pharmakotherapie
- KVT
- Lerntherapie bei Teilleistungsstörung (Legasthenie, Dyskalkulie)
- Sport!
- Behandlung von Komorbiditäten
Pharmakotherapie
- wirksamste Therapie!
- bei mittel-schwerer Ausprägung
- Ziel/Kontrolle: hyperkinetische Symptome↓, Aufmerksamkeit/Konzentration/Selbstkontrolle↑
- 80% Ansprechen
- kontrollierte Auslassversuche 1-2x/Jahr
Substanz | Handelsnamen | Mechanismus | sonstiges |
---|---|---|---|
Methylphenidat |
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reuptake inhibition von Dopamin und Noradrenalin |
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Amphetaminpräparate |
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verstärkte Ausschüttung von Noradrenalin und Dopamin, stärker noradrenerg als dopaminerg |
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Guanfacin |
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α2-Rezeptor-Agonist |
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Atomoxetin |
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selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer |
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Bupropion | selektiver Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer |
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SNRI |
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Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer VLX in höherer Dosierung auch dopaminerg |
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Modafinil |
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Psychotherapie
- KVT bei Erwachsenen
- bei Kindern:
- Elterntraining → Regeln und Ordnung (z. B. Token-System, Response-Cost; Hilfen im Verhalten bei Problemen)
- Verbesserung der Selbststeuerung, z.B. Coaching, Selbstinstruktionstraining, Selbstmanagement-Therapie
- Förderung des Selbstwertgefühls
- operante Therapieprogramme → Verstärkung erwünschter Verhaltensweisen
- Hilfen bei schulischen Problemen: Prüfung Über-/Unterforderung, Verhaltensprobleme
- Ressourcen betonen:
- Hypersensibilität: schnelle Auffassungsgabe, Empathie, Gerechtigkeitssinn
- Begeisterungsfähigkeit, Kreativität, Offenheit
- Impulsivität, interessante Gesprächspartnern
- Hyperfokus = "Flow" → ausdauerndes und konzentriertes Arbeiten an bestimmten Themen
- Hyperaktivität → Leistungssport
Sonstiges
- Ergotherapie: Feinmotorik, ADL → kompensierende Strategien, Sozialverhalten, Elterntraining, Förderung des Kindes im Alltag
- Hilfen zur Erziehung: Jugendamt → Erziehungsberatung, sozialpädagogische Familienhilfe, Tagesgruppen, Lerntherapie
- Elterntraining: "Triple P", "Starke Eltern – Starke Kinder"
- Selbsthilfegruppen Angehörige (Elterngruppen) oder Erwachsene
- Coaching: Ziele und Strategien, auch online möglich
- Neurofeedback-Training: BFB mittels EEG; bisher keine Evidenz
- Eliminationsdiät: fragliche Evidenz, individuelle Auslöser
- Omega-3-Fettsäuren: mäßiger Effekt