ADHS

Aus psych-med

Grundlagen

  • = Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) = Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom = Hyperkinetische Störung (HKS)
  • psychiatrische Entwicklungsstörung → Symptome seit Kindesalter
  • Diagnose → Symptome + Beeinträchtigungen in mehreren Lebensbereichen
  • Prävalenz: 7% → häufigste psychiatrische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen
  • Jungen:Mädchen = 4:1
  • Verlauf:
    • 40-80% noch in Adoleszenz
    • mind. 30% noch im Erwachsenenalter
  • Symptomverschiebung: Kinder v.a. hyperkinetische Störungen, Erwachsenen v.a. Aufmerksamkeitsstörung
  • Ätiologie: neurobiologisch bedingte Abweichung im Verhalten
    • Verminderung des Gehirnvolumens und funktionelle Defizite bestimmter Kerngebiete
    • anatomische und funktionelle Abweichungen bei Leitungsbahnen im Gehirn
    • Neurotransmitter-Störung, v.a. Dopamin, Noradrenalin, Glutamat
  • bei angemessener Behandlung (Methylphenidat) langfristige Erholung von beeinträchtigten Gehirnfunktionen (bildgebend nachgewiesen)
  • Komorbiditäten:
    • Störungen des Sozialverhaltens
    • Lernbehinderung/Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten: bei ca. 50%
    • Depression: fünfmal so häufig
    • Angststörungen: 25%
    • Zwangsstörungen: dreimal so häufig
    • Schlafstörungen

Diagnose

  • Kriterien: ICD-10-ADHS
  • ICD-11 Entwurf: "Aufmerksamkeitsdefizitstörungen sind gekennzeichnet durch andauerndes Verhalten von Unaufmerksamkeit oder Überaktivität und Impulsivität, mit Beginn während der Entwicklung (typischerweise vor dem Alter von fünf Jahren), die außerhalb der Grenzen normaler Variation bezüglich Alter und Fähigkeiten liegen und schulische oder berufliche Tätigkeiten entscheidend beeinträchtigen."
  1. Anamnese
  2. Fremdanamnese: Eltern, Erzieher/Lehrer
  3. neuropsychologische Testdiagnostik: mind. 1-2h → Verhaltensbeobachtung
  4. neurologische Untersuchung
  5. Verhaltensbeobachtung
  • Schweregrade
    1. leicht: nicht behandlungsbedürftig, höhere Kreativität, etwas weniger impulsgehemmt, kann sich nicht so gut konzentrieren
    2. mittelschwer: behandlungsbedürftig, häufig Komorbiditäten; ohne Behandlung Schulversagen/Versagen im Beruf wahrscheinlicher
    3. schwer: gestörtes Sozialverhalten, stark erhöhtes Risiko für Suchtverhalten/Kriminalität; Behandlung → (Re-)Sozialisierung

Therapie

Behandlung

Ziel der Behandlung ist es, das individuell unterschiedlich vorhandene Potenzial auszuschöpfen, die sozialen Fähigkeiten auszubauen und eventuelle Begleitstörungen zu behandeln. Die Behandlung sollte multimodal erfolgen, das heißt, es sollten parallel mehrere Behandlungsschritte durchgeführt werden (z. B. Psychotherapie, psychosoziale Interventionen, Coaching, Pharmakotherapie). Die Wahl der Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad der Störung. Meist kann eine Therapie ambulant erfolgen. Eine teilstationäre Therapie in einer Tagesgruppe oder in einer Tagesklinik bzw. eine Heimunterbringung oder eine stationäre Therapie ist vor allem bei einer besonders schwer ausgeprägten Symptomatik, besonders schwer ausgeprägten komorbiden Störungen (bspw. Störung des Sozialverhaltens oder Teilleistungsschwäche wie Legasthenie oder Dyskalkulie) sowie bei mangelnden Ressourcen in Kindergarten oder Schule oder besonders ungünstigen psychosozialen Bedingungen notwendig. Eine nicht genügend erfolgreiche ambulante Therapie kann stationär oder teilstationär in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie fortgeführt werden.[20] Dort können die innerfamiliären Beziehungen wieder stabilisiert werden. Dafür ist es zumeist notwendig, die Bezugspersonen in die Behandlung mit einzubeziehen. Das multimodale Vorgehen

Die multimodale Behandlung kann folgende Hilfen enthalten, die stets auf den Einzelfall abgestimmt sein sollten. Sie können in einem ambulanten sowie einem voll- oder teilstationären Rahmen angewandt werden:

   Aufklärung und Beratung (Psychoedukation) der Eltern, des Kindes/Jugendlichen und seiner Erzieher bzw. Klassenlehrer.
   Elterntraining (auch in Gruppen) und Hilfen in der Familie (einschließlich Familientherapie) zur Verminderung möglicher Belastungen in der Familie.
   Hilfen in Kindergarten und Schule (einschließlich Wechsel der Gruppe) zur Verminderung möglicher Belastungen. Es können sowohl spezielle Förderungen für das Kind bzw. den Jugendlichen durch Schulpsychologen erfolgen als auch ein Schulwechsel.
   Pharmakotherapie zur Normalisierung von Gehirnfunktionen mit dem Ziel einer Verminderung von Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Überaktivität in Schule (Kindergarten), Familie oder anderen Umgebungen, siehe Medikation
   Kognitive Therapie des Kindes bzw. des Jugendlichen (ab dem Schulalter) zur Verminderung von impulsiven und unorganisierten Aufgabenlösungen (Selbstinstruktionstraining) oder zur Anleitung der Änderung des Verhaltens bei Problemen (Selbstmanagement), siehe Verhaltenstherapie.
   Lerntherapie bei einer begleitenden Teilleistungsstörung wie Legasthenie oder Dyskalkulie.
   Neuere Untersuchungen legen einen positiven Einfluss sportlicher Betätigung nahe. Bei ADHS-Patienten wirkt sich diese günstig auf Verhalten und Lernfähigkeit aus.[64]
   Die Behandlung evtl. begleitender Erkrankungen (siehe: Begleitende und Folgeerkrankungen) sollte im Rahmen einer speziell angepassten Gesamtbehandlung erfolgen.

Information

Eingehende und umfassende Information aller Beteiligten über ADHS ist wesentlicher Bestandteil jeglicher Therapie. Betroffene sollten über die Art der Störung (ADHS ist keine Geisteskrankheit, kein Schwachsinn und keine Faulheit), die Anzeichen (Symptome), die möglichen Schwierigkeiten im Alltag und die vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten informiert werden.

Neben dem ärztlich-psychologischen Gespräch gibt es Informationsmaterial sowohl für Eltern sowie für betroffene Kinder und Erwachsene, wobei diese in ihrer Gestaltung oft auf die Art der Störung Rücksicht nehmen (wenig Fließtext, viele Zeichnungen usw., seit den 2000er Jahren auch instruktive Videos, zunehmend im Internet, wobei die Seriosität und Interessenslenkung der Websites kritisch einzuschätzen ist). Medikation

Eine Medikation ist bei Mittel- und Schwerbetroffenen in vielen Fällen angezeigt. Ziel dieser Behandlung ist es, hyperkinetische Symptome zu mindern, die Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Selbststeuerungsfähigkeit zu verbessern sowie den Leidensdruck der Betroffenen zu mindern. Studien deuten darauf hin, dass eine Behandlung mit individuell abgestimmten Medikamenten die Symptome sehr viel wirksamer reduzieren kann als eine alleinige Psychotherapie.[65] In manchen Fällen werden so erst die Voraussetzungen für weitere therapeutische Arbeit geschaffen.[66] Zur medikamentösen Behandlung der ADHS werden – zur Zeit noch (Stand Januar 2016) – am häufigsten Stimulanzien eingesetzt, welche die Signalübertragung durch die Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin im Gehirn verstärken. Dazu gehören Methylphenidat und Amphetamin, die etwa seit Mitte der 1950er Jahre verwendet werden. Etwa 80 % der Betroffenen sprechen darauf an.

Auch bei Betroffenen mit vorwiegend unaufmerksamer Ausprägung (und weniger hyperaktiver Ausprägung, gemäß Klassifizierung nach DSM) ist die Wirksamkeit von Methylphenidat nachgewiesen. Sie ist hier etwas schwächer. Wenn eine Wirkung besteht (Mehrzahl der Fälle), kann bei dieser Ausprägung jedoch niedriger dosiert werden, um den gewünschten Effekt zu erreichen.[67] Methylphenidat Die Signalübertragung vom Axon eines Neurons (oben) zum Dendriten eines anderen Neurons (unten) wird erhöht z. B. durch die Blockade von Transportern, die ausgeschüttete Neurotransmitter in das Axon zurückführen. Dadurch erhöht sich die Menge der Transmitter im Spalt zwischen den Zellen und damit die Signalübertragung von Zelle zu Zelle. Methylphenidat bewirkt eine solche Signalverstärkung durch Blockade von Transportern.

Methylphenidat hemmt die Funktion von Transportern für die Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin. Diese Transporter sitzen in der Zellmembran der signalgebenden (präsynaptischen) Nervenzelle. Die Signalgebung erfolgt durch Ausschüttung von Neurotransmittern in den synaptischen Spalt zur Erregung der empfangenden Nervenzelle. Im Zuge der Ausschüttungen kommt es ständig zu einer schnellen Wiederaufnahme (Recycling) der Transmitter zurück in die signalgebenden Zelle. Infolge der Hemmung der Wiederaufnahme (reuptake inhibition) durch Methylphenidat ist die Konzentration der Neurotransmitter im synaptischen Spalt erhöht und dadurch die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen länger andauernd verstärkt. Der Effekt von Methylphenidat ist somit eine Signalverstärkung.

Methylphenidat wird seit 1959 eingesetzt und ist im Rahmen der Kurzzeitwirkung umfangreich untersucht worden. Die Auswirkungen von Langzeitanwendungen sind zwar noch nicht vollständig erfasst, es zeichnet sich jedoch deutlich ab, dass sie in der Regel mit einer andauernden Normalisierung der betroffenen Gehirnstrukturen – sowohl in Anatomie als auch Funktion – verbunden sind.[63] Trotzdem sollte der Wirkstoff nur nach sorgfältiger ärztlicher Prüfung (Indikationsstellung) und im Rahmen eines Gesamtkonzeptes einer Behandlung verordnet werden.

In Deutschland wird Methylphenidat unter den Handelsnamen Ritalin, Medikinet, Concerta und vielen weiteren vertrieben, da der Produktschutz abgelaufen ist (siehe Generikum). Alle diese Präparate enthalten den gleichen Wirkstoff, jedoch gibt es Unterschiede wie z. B. bei den Füll- und Zusatzstoffen. Das bekannteste Präparat Ritalin hat beispielsweise eine andere Wirkdauer als Concerta oder Medikinet retard, denn bei retardierten Medikamenten wird der Wirkstoff zeitversetzt und kontinuierlich über den Tag an den Körper abgegeben. Das kann sich je nach Patient unterschiedlich auswirken; Wirkung und Nebenwirkung sind daher zu kontrollieren, um gegebenenfalls ein anderes Präparat zu wählen.

Die Einstellung auf das Medikament geschieht mittels Dosistitration, indem der Arzt zunächst die notwendige Einzeldosierung (in der Regel zwischen 5 und 20 mg MPH-HCl) und die individuelle Wirkungsdauer (ca. 3 bis 5 Stunden) bestimmt. Anhand von Beobachtungsbögen wird die Wirkung von Eltern, ggf. Lehrern oder Therapeuten beurteilt und danach die Dosierung angepasst. Die notwendige Dosis variiert individuell. Die Höchstdosis liegt bei 1 mg pro kg Körpergewicht, höchstens jedoch 60 mg bei Kindern bzw. 92,5 mg (MPH-HCl, entsprechen 80 mg/Tag MPH) bei Erwachsenen pro Tag.[68] Sie sollte nur in Einzelfällen und nach strengster Indikationsstellung überschritten werden. Zu bedenken ist hier, dass es – im statistischen Mittel und möglicherweise nicht durch die Medikation sondern durch ADHS selbst – zu einer geringen Verzögerung des Wachstums in Größe und Gewicht kommt, die jedoch aufgeholt wird und somit die Endwerte des Wachstums nicht verändert.[69][70] Ein Nicht-Ansprechen auf Methylphenidat kann Unterschiedliches bedeuten: So kann es sich beim Patienten um einen Non-Responder handeln, bei dem Methylphenidat nicht wirkt, oder die Diagnose wurde nicht richtig gestellt.

Aufgrund der kurzen Wirkzeit kann nach deren Ende ein Rückschlag (rebound) auftreten und zu einer ausgeprägten Steigerung der Ausgangssymptomatik führen. Erklärt wird dies folgendermaßen: die erleichterte Selbstregulation durch den medikamentösen Wirkstoff fällt plötzlich weg, was zunächst zu Anpassungsschwierigkeiten an den vorherigen Zustand ohne Medikation führt. Dieser Effekt kann besonders bei Kindern zu Therapiebeginn sowie bei unregelmäßiger Einnahme auftreten, normalisiert sich meist im Verlauf der Therapie. Empfohlen wird, die Anforderungen an das Kind in der begrenzten Zeit des Rebounds weitgehend zu reduzieren. Möglich ist auch das Umstellen auf ein anderes Dosierungsschema oder Medikament. Eine zu hohe Dosis von Methylphenidat führt ebenfalls zu Unruhegefühl oder innerer Anspannung, selten auch zu einem deutlichen Rückgang der Aktivität mit Mattigkeit und einem verminderten Antrieb. Diese Erscheinungen halten nur für die Wirkdauer an und gehen danach zurück. Durch angemessene Dosisfindung können sie korrigiert werden.

Die sorgfältige ordnungsgemäße Medikation von Methylphenidat hat bei Personen mit ADHS in der Regel keine schädlichen unerwünschten Wirkungen. Nebenwirkungen sind dosisabhängig, für gewöhnlich vermeidbar und bei Beginn der Therapie vorübergehend.[71] Zu den häufigen Nebenwirkungen gehören Appetitminderung oder Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und seltener Ticstörungen.[72]

ADHS-Patienten weisen, abhängig vom Schweregrad, ein erhöhtes Suchtrisiko auf. In diesem Zusammenhang wurde der Konsum von Stimulanzien als potenzielles Risiko für eine spätere Suchtentwicklung diskutiert. In zwei Metaanalysen einer Vielzahl von Einzelstudien wurde jedoch gezeigt, dass die Gabe von Methylphenidat das Risiko eines späteren Suchtverhaltens nicht erhöht (Analyse A), sondern im Gegensatz sogar vermindert (Analyse B).[73] Nur bei bewusst missbräuchlicher Verwendung oder extrem hohen Dosierungen besteht die Gefahr einer Toleranz- und einer Abhängigkeitsentwicklung durch Methylphenidat.

Auch bei Erwachsenen stellt die Behandlung mit Methylphenidat nach deutschen Leitlinien eine therapeutische Option dar. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat am 14. April 2011 erstmals einer Indikationserweiterung auf Erwachsene zur Behandlung einer seit Kindesalter fortbestehenden Erkrankung zugestimmt. Das erste Produkt mit dieser Zulassung, Medikinet adult, ist im Juli 2011 auf den deutschen Markt gekommen.[74] In der Schweiz wird Methylphenidat von der Krankenkasse auch für Erwachsene bezahlt. Amphetaminpräparate

Für Patienten, die auf Methylphenidat nicht ausreichend positiv ansprechen, kann eine Behandlung mit Amphetamin erfolgversprechend sein. In Bezug auf Sicherheit und Verträglichkeit ist sie ähnlich wie die Behandlung mit Methylphenidat.[75]

Amphetamin wirkt im Gegensatz zu Methylphenidat stärker noradrenerg denn dopaminerg. Es ist kein reiner Wiederaufnahmehemmer, sondern bewirkt primär eine verstärkte Ausschüttung von Noradrenalin und Dopamin. Diese wird unter anderem durch eine Umkehr der Arbeitsrichtung von Transportern für Noradrenalin (NET) und Dopamintransportern (DAT) bewerkstelligt.

In Deutschland kann Kindern Amphetaminsulfat als Saft zu 2 mg/ml nach NRF 22.4 oder als Kapseln zu 5 oder 10 mg nach NRF 22.5 verschrieben werden. Ferner kann Dexamphetamin­sulfat als 2,5 %ige Tropfen nach NRF 22.9 verschrieben werden.[76] In der Schweiz können entsprechende Magistralrezepturen verschrieben oder im Ausland bestellt werden.[77] In Österreich ist allen öffentlichen Apotheken die Abgabe entsprechender Zubereitungen gestattet (siehe Rechtliches zu Amphetamin), sie erfordert die Verschreibung auf einem Suchtgiftrezept. Auch Methamphetamin ist in Österreich verschreibungs­fähig.[78] In Deutschland ist seit Dezember 2011 Attentin (5 mg Dexamphetaminsulfat) für Kinder und Jugendliche verfügbar,[79] ferner seit Juni 2013 Dexamphetamin als Prodrug unter dem Namen Elvanse (Wirkstoff Lisdexamfetamin).[80]

In den USA sind (Dex-)Amphetamin- als auch Methamphetamin-Arzneimittel erhältlich. Guanfacin

Falls Methylphenidat oder Amphetaminpräparate nicht ausreichend ansprechen oder sich anderweitig als ungeeignet erweisen, steht als Medikation der zweiten Linie der α2-Rezeptor-Agonist Guanfacin (Handelsname Intuniv) zur Verfügung. Er fördert insbesondere die Signalübertragung im präfrontalen Cortex. In seiner Wirkung bei ADHS ist er Atomoxetin (siehe unten) überlegen.[81][49][82][83] Guanfacin ist in den USA seit September 2009 und in der gesamten EU seit September 2015 zugelassen.[84] Atomoxetin

Atomoxetin ist ein selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (Handelsname Strattera). Der Wirkeintritt kann jedoch im Gegensatz zu Stimulanzien erst nach einigen Wochen beurteilt werden. Bei Beginn der Anwendung soll die Dosis schrittweise gesteigert werden bis zur sogenannten Wirkdosis, die dann erreicht ist, wenn die normalerweise zu erwartende Wirkung eingetreten ist.

Hinsichtlich der Behandlung von Kindern und Jugendlichen liegt seit September 2005 ein Rote-Hand-Brief des Herstellers vor, in dem über ein signifikant erhöhtes Risiko der Begünstigung oder Auslösung von aggressivem Verhalten, Suizidalität und Suizidhandlungen unter Atomoxetin im Vergleich zu Placebo bei Kindern, nicht aber bei Erwachsenen informiert wird.[85] Bei Auftreten von Suizidgedanken unter dem Medikament soll demnach die Einnahme beendet werden. Umfangreiche nachfolgende Untersuchungen zeigten jedoch, dass ein erhöhtes Suizidrisiko weder bei Heranwachsenden noch bei Erwachsenen bestehe.[86]

Die Wirksamkeit von Atomoxetin ist etwas geringer als bei Stimulanzien oder Guanfacin, jedoch gut belegt.[87]

Atomoxetin kann neben seiner Wirkung bei ADHS auch eine begleitende Ticstörung mildern.[88] Weitere Medikation

Begleitend oder alternativ zu Stimulanzien, Guanfacin oder Atomoxetin werden auch weitere Medikamente eingesetzt, insbesondere Antidepressiva. Typische Indikationen für diese sind Depressionen, Angststörungen oder Zwangsstörungen, die als Begleit- oder Folgeerkrankungen aufgetreten sind. Als alleinige Medikation sind diese Mittel jedoch gegen ADHS-Symptome wirkungslos oder von sehr geringer Wirkung, mit Ausnahme von Bupropion, das hierbei eine kleine Wirkung zeigt.[89]

Beispiele für eingesetzte Antidepressiva sind:

   Bupropion ist ein selektiver Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer. Allerdings ist die Wirkung dieser Substanz bezüglich der ADHS-Symptome gering.[90]
   Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) wie Venlafaxin und Duloxetin, welche die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin in die Präsynapse hemmen. Allerdings liegen für keine der beiden Substanzen bislang (Stand Januar 2016) ausreichende Daten zur Wirksamkeit bei ADHS vor, die eine Empfehlung für diese Patienten rechtfertigen würden.[91][92]
   Trizyklische Antidepressiva wie Desipramin, Imipramin oder Doxepin. Für Desipramin konnten zwar Anzeichen für eine kurzfristige Besserung der ADHS-Symptome gefunden werden, wegen der Nebenwirkungen (unter anderem Erhöhung von Blutdruck und Pulsfrequenz) wurde jedoch wenig Anlass für eine Anwendung gesehen.[93] Für die beiden anderen Substanzen liegen keine ADHS-spezifischen Daten vor.
   Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie z. B. Fluoxetin oder Sertralin, welche die Wiederaufnahme von Serotonin in die Präsynapse hemmen, kommen in Betracht als mögliche zusätzliche Medikation, insbesondere bei begleitenden Anzeichen von Depression.[31]

Andere Arzneimittel, für die jedoch noch keine ausreichenden Daten für eine Anwendung bei ADHS vorliegen:

   Modafinil ist ein zur Behandlung der Narkolepsie zugelassenes Stimulans, das auch bei der ADHS-Therapie off-label angewandt werden kann. Versuche über Wochen zeigten positive Ergebnisse bei ADHS, jedoch fehlen Untersuchungen zur Langzeitbehandlung, und von 2006 bis 2016 sind keine weiteren Übersichtsstudien (reviews) mehr erschienen.[94][95]
   Metadoxin (bekannt aus der Alkoholentgiftung) hat sich in einigen Studien mit Erwachsenen als teilweise wirksames ADHS-Medikament erwiesen, wobei jedoch nur Verbesserungen eintraten in der Aufmerksamkeit und nur bei ADHS-Patienten mit Störungen vorwiegend im Bereich Aufmerksamkeit. Diese spezielle Wirkung trat dann allerdings bereits bei einmaliger Anwendung innerhalb von 3-5 Stunden auf.[96][97][98]

Psychotherapie

Psychotherapeutische Behandlungsmethoden können ein nützlicher Bestandteil im Rahmen der multimodalen Therapie sein. Verhaltenstherapie

Ziel verhaltenstherapeutischer Maßnahmen ist es, dass die Betroffenen geeignete Fähigkeiten erwerben, um mit den Besonderheiten und Problemen zurechtzukommen, die ADHS mit sich bringt. Allerdings hilft eine solche Therapie vor dem Alter von ungefähr acht Jahren meist wenig.[99]

Im Kindesalter orientieren sich verhaltenstherapeutische Therapieprogramme daran, in einem Elterntraining Informationen zu ADHS und geeignete Hilfen zum Einrichten von Regeln und Ordnung zu bieten (z. B. Übungen mit einem Token-System oder Response-Cost; Hilfen im Verhalten bei Problemen). Weitere Zielsetzungen können die Verbesserung der Selbststeuerung (z. B. durch Coaching, Selbstinstruktionstraining oder Selbstmanagement-Therapie) und die Förderung des Selbstwertgefühls der Kinder und Jugendlichen sein.

Zur Behandlung wurden Therapieprogramme entwickelt, die speziell auf Verhalten und Aufmerksamkeit der betroffenen Kinder ausgerichtet sind. Besonders haben sich hierbei operante Therapieprogramme bewährt. Durch verschiedene beiliegende Materialien und Übungen wird versucht, geeignetes Verhalten und Aufmerksamkeit zu fördern. Sie verwenden zumeist Pläne und versuchen, schon Kindern Wissen über Aufmerksamkeit und strategisches Handeln zu vermitteln. Eine bedeutende Aufgabe haben die Eltern, die die unterschiedlichen Therapieschritte möglichst unterstützen und beobachten sollten.

Die Wirksamkeit von Verhaltenstherapie bei ADHS ist mehrfach nachgewiesen worden, sowohl ohne als auch mit Kombination von Medikamenten. Wurden Medikamente mit Verhaltenstherapie kombiniert, war eine geringere Dosierung der Medikamente ausreichend.[100] Hilfen bei schulischen Problemen

Sollte das Kind bereits im Vorschulbereich besondere Hilfe benötigen, kann ein Besuch der Vorschule oder einer Frühförderung sinnvoll sein.

Bei Kindern, die an ADHS leiden, muss sorgfältig geprüft werden, welche Schulform ihrer Leistungsfähigkeit entspricht. Dabei sollte beachtet werden, ob sie eventuell schulisch über- oder unterfordert sind. Bei massiven Verhaltensproblemen kann auch der Besuch einer integrativen Klasse oder Förderschule zum Erhalt besonderer Erziehungshilfen notwendig werden. Der Besuch einer Heimschule mit spezieller pädagogischer Förderung kann sinnvoll sein, wenn der Besuch einer Regel- oder Förderschule nicht mehr möglich ist. Hier besteht die Möglichkeit der intensiven pädagogischen Förderung in kleinen Gruppen.[66][20][101] Weitere Behandlungsunterstützung Ergotherapie

Mit ADHS ist häufig eine Neigung zur Grobmotorik und eine Störung der Feinmotorik verbunden. Abhilfe kann hier eine Ergotherapie schaffen. Weiterhin kann die Ergotherapie Hilfe im Bewältigen von alltäglichen Problemen leisten. Dazu zählen u. a. das Erlernen von kompensierenden Strategien, angemessenem Sozialverhalten, sowie Elterntraining und Beratung zur Förderung des Kindes im Alltag. Hilfen zur Erziehung

Die Kinder- und Jugendhilfe bietet interessierten Eltern als unterstützende Maßnahmen Hilfen zur Erziehung, zum Beispiel Erziehungsberatung, sozialpädagogische Familienhilfe, Tagesgruppen oder Lerntherapie. Dabei wird versucht, erzieherischen Methoden und einer speziellen Förderung die oft existierenden Defizite im Verhalten zu verringern und darüber hinaus auch eine Verbesserung der schulischen Leistungen zu bewirken.

Eltern haben auch die Möglichkeit, selbst gewählte Hilfen über das regional zuständige Jugendamt zu beantragen. Nach § 5 SGB VIII besteht für die Eltern ein Wunsch- und Wahlrecht hinsichtlich der Art des Hilfeangebotes und des Anbieters bzw. Beraters. In der Regel reicht es, einen formlosen Antrag auf Hilfe zur Erziehung zu stellen. Elterntraining

Durch eine Verbesserung der Erziehungskompetenz der Eltern soll Folgeproblemen in der Eltern-Kind-Beziehung und im Sozialverhalten vorgebeugt bzw. diese reduziert werden. Als hilfreich haben sich hauptsächlich lerntheoretisch basierte Konzepte wie Triple P oder Starke Eltern – Starke Kinder herausgestellt, die alle von einer Verstärkung der positiven, sozial verträglichen Verhaltensweisen der Kinder ausgehen und neuropsychologische Erkenntnisse über das Gehirn einbeziehen.[102] Selbsthilfegruppen

Selbsthilfegruppen existieren hauptsächlich als Gruppen für Angehörige (i. d. R. Elterngruppen) oder für betroffene Erwachsene. Die erlebte Unterstützung in Selbsthilfegruppen und der Austausch mit Menschen mit ähnlichen Problemen kann günstigen Einfluss auf das Selbstbild, die Handlungsfähigkeit und die Selbstwirksamkeitserwartungen der Betroffenen bzw. der Angehörigen ausüben. Coaching

Bei einem Coaching steht dem Betroffenen neben dem Therapeuten und dem Arzt noch eine Vertrauensperson zur Verfügung, die ihn unterstützt, mit ihm Ziele entwirft und mit ihm gemeinsam Strategien entwickelt, wie diese Ziele im Alltag zu erreichen sind. Somit arbeitet der Coach eng mit dem Betroffenen zusammen und hilft ihm, die getroffenen Vorsätze umzusetzen und das Selbstmanagement zu stärken. Coaching ist – anders als das Angebot durch Ärzte, Psycho- und Ergotherapeuten – keine Leistung der Krankenversicherungen und in der Regel selbst zu finanzieren. Eine neue, ehrenamtliche Form des Coachings hat sich durch die digitalen Medien entwickelt, so über e-Mails, Austausch und Beratung in Selbsthilfeforen und online-Elterncoaching.[103] Alternative Behandlungen Neurofeedback-Training

Neurofeedback ist eine Spezialform eines Biofeedback-Trainings, bei der eine trainierende Person computergesteuert optische oder akustische Rückmeldung über Veränderungen der EEG-Signale ihres Gehirns erhält. Dies ist zum Beispiel ein Flugzeug auf dem Bildschirm, das dann an Höhe gewinnt, wenn bestimmte EEG-Signale sich in eine bestimmte Richtung verändern. Der Computer misst die EEG-Signale und lässt das Flugzeug (nahezu in Echtzeit) steigen, wenn die EEG-Signale durch eine bestimmte gedankliche Konzentration verändert werden und diese Veränderung in die "richtige" – vorher einprogrammierte Richtung – geht.

Grundlage ist die Erfahrung, dass bei ADHS – statistisch gesehen – bestimmte Besonderheiten des EEG vorliegen. Daraus wurde von Manchen die Vermutung abgeleitet, dass Veränderung dieser Abweichungen – in Richtung Normalisierung – durch Neurofeedback dem Patienten nützen könnte. Ein Problem hierbei ist jedoch, dass die EEG-Abweichungen von Patient zu Patient stark variieren und zum Beispiel eine ADHS-Diagnose aufgrund von EEG-Ergebnissen nicht möglich ist. Ein weiteres Problem ist, dass die Abweichungen im Gehirn, die die Abweichungen der EEG-Signale verursachen, in der Regel so gut wie unbekannt sind. Die Forschung hierzu befindet sich noch (Stand Januar 2016) in sehr bescheidenen Anfängen.[104]

Bei Untersuchungen zur Wirksamkeit von Neurofeedback-Training bei ADHS wurden anfänglich Besserungen bei den Symptomen verzeichnet. Als man jedoch ausschloss, dass die Erwartungshaltung die Ergebnisse beeinflusste (Blindstudie), verringerte sich die Wirkung markant oder verschwand völlig. Als man schließlich die Wirkungen bei echtem und vorgetäuschtem Feedback (Placebo) verglich, so war kein Unterschied festzustellen. Neurofeedback war demnach also nur wirksam durch seine allgemeine Förderung von Konzentration und Selbstkontrolle, ähnlich wie entsprechendes Training in Verhaltens- oder Ergotherapie.[105][106][107] Eliminationsdiät

Studien des ADHS Research Center in Eindhoven mit der Universität Rotterdam zeigten, dass mit Hilfe der Eliminationsdiät bei manchen Kindern mit ADHS-Symptomen Erfolge erzielt werden konnten. Eine Studie mit 100 Teilnehmern zeigte bei 64 % der damit behandelten Kindern eine bedeutsame (signifikante) Verminderung der ADHS-Symptome. Diese aßen zunächst nur Reis, Gemüse und Fleisch. Alles andere wurde aus dem Speiseplan entfernt. Nachdem die ADHS-Symptome vermindert waren, wurden Mahlzeiten um weitere Nahrungskomponenten ergänzt, um die möglichen Auslöser für ADHS zu identifizieren. Tatsächlich lösten nur einige wenige Lebensmittel ADHS aus, die – gemäß Studie – dauerhaft vermieden werden sollten.[108]

Eine Übersichtsstudie von 2014 berichtete, dass es kleine – aber zuverlässige – Wirkungen bei dieser Methode gebe. Viele Fragen seien jedoch noch offen, insbesondere die Klärung, ob es im Voraus bestimmte Anzeichen dafür gibt, ob ein Betroffener möglicherweise von dieser Methode eine Besserung erwarten könne.[109] Nährstofftherapie

Die zusätzliche Einnahme von Omega-3-Fettsäuren hat nach einer Übersichtsstudie von 2014 einen mäßigen positiven Effekt auf die Symptome von ADHS.[110] Für die mögliche Wirksamkeit einer zusätzlichen Einnahme von Magnesium, Zink oder Eisen gibt es (Stand Januar 20016) keine Belege.[111] Wirkungslose und umstrittene Ansätze

Andere Ansätze können aufgrund der Ergebnisse von Untersuchungen und Doppelblind-Studien als wirkungslos gegenüber ADHS oder gesundheitlich bedenklich angesehen werden.

Eine Cochrane Systematic Review überprüfte 2007 die bis dato publizierten homöopathischen Behandlungen von Kindern mit ADHS. Laut der Studie gab es keinen signifikanten Effekt auf die Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität, ebenso wenig auf begleitende Symptome wie gesteigerte Ängstlichkeit. Es gebe keine Belege für die Wirksamkeit von Homöopathie bei der Behandlung von ADHS. Weiteren Wirksamkeitsstudien sollte eine Entwicklung bestmöglicher Aufzeichnungen (Protokolle) der Behandlungen vorausgehen.[112] Homöopathie ist daher ungeeignet, eine konventionelle Therapie zu ersetzen und Heilkunde lediglich als eine mögliche Ergänzung zu betrachten.

Die Behandlung mit sogenannten AFA-Algen ist gefährlich, da Blaualgen im Allgemeinen Toxine beinhalten, die sowohl die Leber als auch das Nervensystem nachhaltig schädigen können. Das kanadische Gesundheitsministerium sah sich nach entsprechenden Untersuchungen veranlasst, eine entsprechende Meldung herauszugeben und vor der Einnahme zu warnen – ebenso wie das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin.[113]

Ressourcen

  • Hypersensibilität: schnelle Auffassungsgabe, Empathie, Gerechtigkeitssinn
  • Begeisterungsfähigkeit, Kreativität, Offenheit
  • Impulsivität, interessante Gesprächspartnern
  • Hyperfokus = "Flow" → ausdauerndes und konzentriertes Arbeiten an bestimmten Themen
  • Hyperaktivität → Leistungssport