Autismus: Unterschied zwischen den Versionen

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# Hyper- bzw. Hyporeaktivität auf sensorische Reize oder andere Reize
# Hyper- bzw. Hyporeaktivität auf sensorische Reize oder andere Reize
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== Therapie ==
* keine kausale Therapie möglich
* '''[[KVT]]''':
** Abbau störender und unangemessener Verhaltensweisen (Stereotypien, (auto)aggressives Verhalten)
** Aufbau sozialer und kommunikativer Fertigkeiten
** v.a. über positive Verstärkung
** spezielle Programme:
*** Angewandte Verhaltensanalyse (''Applied Behavior Analysis'', ABA): v.a. operantes Konditionieren, Frühförderung
*** TEACCH (''Treatment and Education of Autistic and related Communication-handicapped Children''): v.a. Strukturierung und Visualisierung
* '''Elterntraining''':
** Zusammenhang zwischen Stressbelastung der Eltern und Verhaltensproblemen ihrer Kinder → Stressreduktion
** spezielles programm: "NAS EarlyBird", dreimonatiges Trainingsprogramm für Eltern
* '''Medikamente''':
Medikamentöse Behandlung der Begleitsymptome wie beispielsweise Angst, Depressionen, Aggressivität oder Zwänge mit Antidepressiva (etwa SSRI), atypischen Neuroleptika oder Benzodiazepinen kann eine Komponente im Gesamtbehandlungsplan sein,[40] bedarf jedoch besonderer Vorsicht und aufmerksamer Beobachtung, denn nicht selten verschlimmern sie bei falscher Anwendung die Symptome, statt sie zu mildern. Mit besonderer Vorsicht ist bei der Gabe von Stimulanzien, wie sie bei Hyperaktivität (ADHS) verschrieben werden, vorzugehen, da sie bei vorhandenem Autismus und der hier häufig vorkommenden Überempfindlichkeit auf Reize der Sinnesorgane letztere noch verstärken können. Die Wirksamkeit von Methylphenidat (Ritalin) ist bei Autisten reduziert (ca. 50 statt 75 Prozent der Patienten), 10 mal häufiger seien unerwünschte Nebenwirkungen wie z.B. Reizbarkeit oder Schlafstörungen.[41] Zu beachten ist ferner, dass Reizüberemfindlichkeiten unabhängig von Autismus auftreten können. Ein konkreter Bezug zu Autismus wird bei einzelnen Stimulanzien nicht im Beipackzettel genannt.
Ergänzende Maßnahmen
Mögliche ergänzende Methoden sind etwa Musik-, Kunst-, Massagetherapie, ebenso wie Reit- und Delfintherapie oder der Einsatz von Therapierobotern (Keepon) oder Echolokationslauten (Dolphin Space). Sie können die Lebensqualität steigern, indem sie positiv auf Stimmung, Ausgeglichenheit und Kontaktfähigkeit einwirken. Das zeigt 2008 etwa ein umfassender wissenschaftsjournalistischer Bericht über zwei eigene autistische Kinder – mit Hund.[42]
Verfahren ohne Wirksamkeitsnachweis
Weitere bekannte Maßnahmen sind Festhaltetherapie, Gestützte Kommunikation und Daily-Life-Therapie. Diese Maßnahmen „sind im Kontext der Behandlung des Autismus entweder äußerst umstritten und unglaubwürdig oder deren Annahmen und Versprechungen wurden durch wissenschaftliche Untersuchungen im Wesentlichen widerlegt“. (Lit.: Poustka 2004, S. 59)
    Die Festhaltetherapie wurde 1984 von der US-amerikanischen Kinderpsychologin Martha Welch entwickelt und von Jirina Prekop im deutschen Sprachraum verbreitet. Ansatzpunkt bei dieser Therapie ist die nicht dem aktuellen Stand der Autismusforschung entsprechende Annahme, dass der Autismus eine emotionale Störung sei, die durch negative Einflüsse in der frühesten Kindheit hervorgerufen werde. Das betroffene Kind habe kein Urvertrauen aufbauen können. Bei der sehr umstrittenen Festhaltetherapie[43] soll durch Festhalten des Kindes der Widerstand gegen Nähe und Körperkontakt gebrochen und so das Urvertrauen nachträglich entwickelt werden. Bedenklich bei der Festhaltetherapie „ist nicht nur die manchmal äußerst dramatisch und fast gewalttätig anmutende Vorgehensweise, sondern auch die dem Konzept mehr oder weniger zugrundeliegende These, dass das frühe Urvertrauen vom Kind nicht erworben werden konnte. Dies wird häufig von Eltern im Sinne einer persönlichen Schuld am Sosein ihres autistischen Kindes interpretiert“ (Lit.: Remschmidt 2002, S. 80).
    Bei der Methode Gestützte Kommunikation benutzt die Person mit Autismus (gestützte Person) mit körperlicher Hilfestellung durch eine assistierende Person (Stützer) eine Kommunikationshilfe (Buchstabentafel, Kommunikationstafel, Computertastatur u.ä.). Durch diese gemeinsame Bedienung entsteht ein Text, dessen Autorenschaft der gestützten Person zugeschrieben wird. Die Stützer werden in Seminaren in die Gestützte Kommunikation eingeführt. Kritik an der Methode entzündet sich u. a. daran, dass in Blindversuchen nachgewiesen werden konnte, dass der Stützer den Schreiber unbewusst und unbeabsichtigt beeinflusste, so dass der Stützer und nicht die gestützte Person Urheber des Textes ist.
    Die Daily-Life-Therapie wurde erstmals 1964 in Japan angewandt. Dabei wird von der Grundhypothese ausgegangen, dass ein hohes Angstniveau bei Menschen mit Autismus durch körperliche Anstrengung beseitigt werden kann. Körperliche Anstrengung führt zu einer erhöhten Ausschüttung von Endorphinen, die schmerzlindernd oder schmerzunterdrückend (analgetisch) wirken.
Des Weiteren gibt es verschiedene „biologisch begründete“ Therapiemethoden – etwa die Behandlung mit dem Darmhormon Sekretin –, unter Verwendung hoher Dosen von Vitaminen und Mineralien oder mit besonderen Diäten. Auch hier fehlen bisher Wirksamkeitsnachweise, so dass von diesen Maßnahmen abgeraten wird (Lit.: Poustka 2004, S. 59)


[[Kategorie:Störungen]]
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Version vom 29. Februar 2016, 17:26 Uhr

Grundlagen

  • angeborene, unheilbare, tiefgreifende Entwicklungsstörung der Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung
  • Kennzeichen:
    1. Probleme in sozialer Interaktion
    2. Probleme in Kommunikation
    3. stereotype Verhaltensweisen
  • oft Stärken bei Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Intelligenz
  • aktuell noch Unterscheidung:
    • frühkindlicher Autismus = Kanner-Syndrom
    • Asperger-Syndrom
  • sehr variable Ausprägungen mit fließenden Übergängen → Autismusspektrum-Störungen (ASS)
  • Prävalenz: 2-3%
  • m:w = 2:1
  • Prävalenz steigend:
    • häufigere Diagnose
    • erweiterte Definition
    • früher "kindliche Schizophrenie" oder ADHS

Symptome

  • Sozialverhalten:
    • Schwierigkeiten, mit anderen Menschen zu sprechen, Gesagtes richtig aufzufassen, Mimik und Körpersprache einzusetzen und zu verstehen
    • kein/kaum Blickkontakt
    • stereotypes oder ritualisiertes Verhalten
  • Inselbegabung = Savants:
    • nur kleiner teil der Autisten
    • umgekehrt 50% der Savants Autisten
  • Unterscheidung:
  frühkindlicher Autismus Asperger-Syndrom
auffällig ab 10.–12. Lebensmonat 3.-4. Lebensjahr
Sprache fehlende/verzögerte Sprachentwicklung, anfangs oft Echolalie frühe Spracheentwicklung, oft stilistisch hoher Sprachstil, aber Probleme beim Verstehen von Metaphern und Ironie
Intelligenz Unterteilung Low/Intermediate/High Functioning Autism (LFA, IFA, HFA)
  • LFA: geistige Behinderung
  • HFA: normale bis hohe Intelligenz, fließender Übergang zu Asperger-Syndrom
normale bis hohe Intelligenz, teilweise Hochbegabung
Motorik keine Auffälligkeiten häufig motorische Störungen, Ungeschicklichkeit, Koordinationsstörungen
    1. atypischer Autismus: erfüllt nicht alle Diagnosekriterien oder zeigt sich erst nach dem dritten Lebensjahr

Diagnose

  • ICD-10:
    • F84.0: frühkindlicher Autismus = Kanner-Syndrom
    • F84.1: atypischer Autismus
    • F84.10: mit atypischem Erkrankungsalter
    • F84.11: mit atypischer Symptomatik
    • F84.12: mit atypischem Erkrankungsalter und atypischer Symptomatik
    • F84.5: Asperger-Syndrom
  • DSM-IV:
A mind. 6 Kriterien, davon mind. 2 aus (1) und je eines aus (2) und (3):
  1. Beeinträchtigung der sozialen Interaktion in mind. 2 Bereichen:
    • ausgeprägte Beeinträchtigung nonverbaler Verhaltensweisen (Blickkontakt, Gesichtsausdruck, Körperhaltung, Gestik) zur Steuerung sozialer Interaktionen
    • Unfähigkeit, Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen
    • Mangel an spontanen Bestrebungen, Freude, Interessen oder Erfolge mit anderen zu teilen
    • Mangel an sozialer oder emotionaler Gegenseitigkeit
  2. Beeinträchtigungen der Kommunikation in mind. 1 Bereich:
    • verzögertes Einsetzen oder völliges Ausbleiben der Sprachentwicklung (ohne Kompensation durch Gestik oder Mimik)
    • trotz ausreichendem Sprachvermögen deutliche Beeinträchtigung der Fähigkeit, ein Gespräch zu beginnen oder fortzuführen
    • stereotyper oder repetitiver Gebrauch der Sprache oder idiosynkratische Sprache
    • Fehlen entwicklungsgemäßer Rollenspiele oder Imitationsspiele
  3. repetitive und stereotype Verhaltens-, Interessens- und Aktivitätsmuster in mind. 1 Bereich:
    • eingehende Beschäftigung innerhalb eines oder mehrerer stereotyper und begrenzter Interessenmuster, wobei entweder Schwerpunkt oder Intensität der Beschäftigung abnorm sind
    • auffällig unflexibles Festhalten an bestimmten nichtfunktionalen Gewohnheiten oder Ritualen
    • stereotype und repetitive motorische Manierismen
    • beharrliche eingehende Beschäftigung mit (Teilen von) Objekten
B Verzögerungen oder abnorme Funktionsfähigkeit in mind. 1 der folgenden Bereiche, Beginn vor dem dritten Lebensjahr:
  • soziale Interaktion,
  • Sprache als soziales Kommunikationsmittel
  • symbolisches oder Fantasiespiel
C Ausschluss das Rett- oder Heller-Syndrom
  • ICD-11 7 DSM 5: keine Kategorien mehr, nur noch Autismus-Spektrum-Störung
1 soziale Kommunikation: mind. 1 aus jedem Bereich:
    1. merkwürdige Kontaktaufnahme ODER Unfähigkeit, Gespräche aufrechtzuerhalten ODER keine Gespräche starten
  1. kaum Verwendung von Mimik und Gestik ODER Auffälligkeiten bei Blickkontakt ODER Defiziten beim Verständnis nonverbaler Kommunikation
  2. Defizite bei der Aufnahme und Aufrechterhaltung von Beziehungen
2 Stereotypien und Rituale: mind. 2
  1. Stereotypien ODER repetitive Bewegungen ODER Echolalie
  2. Routinen
  3. Spezialinteresse
  4. Hyper- bzw. Hyporeaktivität auf sensorische Reize oder andere Reize

Therapie

  • keine kausale Therapie möglich
  • KVT:
    • Abbau störender und unangemessener Verhaltensweisen (Stereotypien, (auto)aggressives Verhalten)
    • Aufbau sozialer und kommunikativer Fertigkeiten
    • v.a. über positive Verstärkung
    • spezielle Programme:
      • Angewandte Verhaltensanalyse (Applied Behavior Analysis, ABA): v.a. operantes Konditionieren, Frühförderung
      • TEACCH (Treatment and Education of Autistic and related Communication-handicapped Children): v.a. Strukturierung und Visualisierung
  • Elterntraining:
    • Zusammenhang zwischen Stressbelastung der Eltern und Verhaltensproblemen ihrer Kinder → Stressreduktion
    • spezielles programm: "NAS EarlyBird", dreimonatiges Trainingsprogramm für Eltern
  • Medikamente:


Medikamentöse Behandlung der Begleitsymptome wie beispielsweise Angst, Depressionen, Aggressivität oder Zwänge mit Antidepressiva (etwa SSRI), atypischen Neuroleptika oder Benzodiazepinen kann eine Komponente im Gesamtbehandlungsplan sein,[40] bedarf jedoch besonderer Vorsicht und aufmerksamer Beobachtung, denn nicht selten verschlimmern sie bei falscher Anwendung die Symptome, statt sie zu mildern. Mit besonderer Vorsicht ist bei der Gabe von Stimulanzien, wie sie bei Hyperaktivität (ADHS) verschrieben werden, vorzugehen, da sie bei vorhandenem Autismus und der hier häufig vorkommenden Überempfindlichkeit auf Reize der Sinnesorgane letztere noch verstärken können. Die Wirksamkeit von Methylphenidat (Ritalin) ist bei Autisten reduziert (ca. 50 statt 75 Prozent der Patienten), 10 mal häufiger seien unerwünschte Nebenwirkungen wie z.B. Reizbarkeit oder Schlafstörungen.[41] Zu beachten ist ferner, dass Reizüberemfindlichkeiten unabhängig von Autismus auftreten können. Ein konkreter Bezug zu Autismus wird bei einzelnen Stimulanzien nicht im Beipackzettel genannt. Ergänzende Maßnahmen

Mögliche ergänzende Methoden sind etwa Musik-, Kunst-, Massagetherapie, ebenso wie Reit- und Delfintherapie oder der Einsatz von Therapierobotern (Keepon) oder Echolokationslauten (Dolphin Space). Sie können die Lebensqualität steigern, indem sie positiv auf Stimmung, Ausgeglichenheit und Kontaktfähigkeit einwirken. Das zeigt 2008 etwa ein umfassender wissenschaftsjournalistischer Bericht über zwei eigene autistische Kinder – mit Hund.[42] Verfahren ohne Wirksamkeitsnachweis

Weitere bekannte Maßnahmen sind Festhaltetherapie, Gestützte Kommunikation und Daily-Life-Therapie. Diese Maßnahmen „sind im Kontext der Behandlung des Autismus entweder äußerst umstritten und unglaubwürdig oder deren Annahmen und Versprechungen wurden durch wissenschaftliche Untersuchungen im Wesentlichen widerlegt“. (Lit.: Poustka 2004, S. 59)

   Die Festhaltetherapie wurde 1984 von der US-amerikanischen Kinderpsychologin Martha Welch entwickelt und von Jirina Prekop im deutschen Sprachraum verbreitet. Ansatzpunkt bei dieser Therapie ist die nicht dem aktuellen Stand der Autismusforschung entsprechende Annahme, dass der Autismus eine emotionale Störung sei, die durch negative Einflüsse in der frühesten Kindheit hervorgerufen werde. Das betroffene Kind habe kein Urvertrauen aufbauen können. Bei der sehr umstrittenen Festhaltetherapie[43] soll durch Festhalten des Kindes der Widerstand gegen Nähe und Körperkontakt gebrochen und so das Urvertrauen nachträglich entwickelt werden. Bedenklich bei der Festhaltetherapie „ist nicht nur die manchmal äußerst dramatisch und fast gewalttätig anmutende Vorgehensweise, sondern auch die dem Konzept mehr oder weniger zugrundeliegende These, dass das frühe Urvertrauen vom Kind nicht erworben werden konnte. Dies wird häufig von Eltern im Sinne einer persönlichen Schuld am Sosein ihres autistischen Kindes interpretiert“ (Lit.: Remschmidt 2002, S. 80).
   Bei der Methode Gestützte Kommunikation benutzt die Person mit Autismus (gestützte Person) mit körperlicher Hilfestellung durch eine assistierende Person (Stützer) eine Kommunikationshilfe (Buchstabentafel, Kommunikationstafel, Computertastatur u.ä.). Durch diese gemeinsame Bedienung entsteht ein Text, dessen Autorenschaft der gestützten Person zugeschrieben wird. Die Stützer werden in Seminaren in die Gestützte Kommunikation eingeführt. Kritik an der Methode entzündet sich u. a. daran, dass in Blindversuchen nachgewiesen werden konnte, dass der Stützer den Schreiber unbewusst und unbeabsichtigt beeinflusste, so dass der Stützer und nicht die gestützte Person Urheber des Textes ist.
   Die Daily-Life-Therapie wurde erstmals 1964 in Japan angewandt. Dabei wird von der Grundhypothese ausgegangen, dass ein hohes Angstniveau bei Menschen mit Autismus durch körperliche Anstrengung beseitigt werden kann. Körperliche Anstrengung führt zu einer erhöhten Ausschüttung von Endorphinen, die schmerzlindernd oder schmerzunterdrückend (analgetisch) wirken.

Des Weiteren gibt es verschiedene „biologisch begründete“ Therapiemethoden – etwa die Behandlung mit dem Darmhormon Sekretin –, unter Verwendung hoher Dosen von Vitaminen und Mineralien oder mit besonderen Diäten. Auch hier fehlen bisher Wirksamkeitsnachweise, so dass von diesen Maßnahmen abgeraten wird (Lit.: Poustka 2004, S. 59)