DBT-PTSD

Aus psych-med

nach einem Workshop von Prof. Bohus am 06.07.2016 in der Schön Klinik Roseneck, Prien am Chiemsee

Grundlagen

  • entwickelt von Bohus et al. für Patienten mit Komplexe PTSD
  • entstanden aus DBT mit Borderline-Patientinnen: in Nachbeobachtung 30% chronifiziert → alle mit komplexer PTSD

Inhalte

  • modulare Konzeption
  • 12 Wochen stationär oder 40h ambulant
  • Elemente:
    • aus DBT: Regeln/Prinzipien, Skills, therapeutische Beziehungsgestaltung
    • traumafokussiert: kognitiv, Exposition
    • Compassion focused therapy: Mentalisierung, Imagination
    • ACT: Akzeptanz, Werte/Ziele
  • Ziel: Linderung der Folgen der Traumatisierung
    • → Relativierung der Traum-Assoziierten Emotionen im gegenwärtigen Kontext
    • → adäquate realitätsbezogene Bewertungsprozesse
    • Erinnerung schmerzhaft, aber erträglich, weil vergangen
    • zentraler Schritt: Akzeptanz → Aufgabe von Vermeidung/Flucht/Schuld/Scham → neues Selbstkonzept
  • konsequentes Kontingenzmanagement:
    • soziale Verstärkung erwünschten Verhaltens
    • "Bestrafung" von Problemverhalten: Time-Out, Verhaltens-/Lösungsanalyse
  • Dynamische Behandlungshierarchie:
    • Standard-DBT:
    1. Suizidalität
    2. therapiegefährdendes Verhalten
    3. krisengenerierendes Verhalten (SV, parasuizidales Verhalten)
    • DBT-PTSD:
    1. therapiebehinderndes Verhalten (Dissoziation, Essstörung)
    2. schwere psychosoziale Probleme (Finanzen, Wohnung, Partnerschaft)
    3. PTSD aufrechterhaltendes Verhalten (Flucht und Vermeidung)
    4. Lebensqualität (Körperablehnung, soziale Beziehungen)

Theorie

  • primäres Ziel: Überleben
  • gleichzeitig:
    • "Du musst in Deiner Familie leben"
    • "Du musst emotional an Deine Familie gebunden sein."
    • "Du musst Deine Eltern lieben"
  • → einzige "Lösung": "Du bist diejenige, die schuld daran ist, dass dies alles geschieht. Mit Dir stimmt was nicht."
  • evolutionär: Gruppenzugehörigkeit siegt immer über Selbstwert (überlebenswichtig)
  • Coping-Mechanismus, um weiter zur Familie zu gehören = sekundäre Emotionen:
    • Schuld: "Ich verhalte mich falsch"
    • Scham: "Ich bin falsch" → "wenn andere bemerken, wie ich wirklich bin, werden sie mich zurückweisen"
    • dahinter: existentielle Ohnmacht und Angst = primäre Emotionen
  • zentrales Problem:
    • Stimulus → primäre Emotion → Trauma-assoziiertes Netzwerk → Flucht/Vermeidung → keine Modifikation
    • prim. Emotion = während des Traumas → individuell genau eruieren: Ohnmacht, Ekel, Angst, Wut, Verwirrung, Demütigung, Entsetzen, sexuelle Erregung, Unwirklichkeit
    • assoziierte Emotionen und mögliche Auslöser: Nähe, Verbundenheit, Stolz, Gefühl des "Besonderen"
  • Escape-Mechanismen (mit Listen abfragen):
    • Verhalten: Suizid, SV, Risikoverhalten, Abusus, Promiskuität, Hygiene(zwänge), Erbrechen
    • kognitiv: Suizidgedanken, kogn. ablenken, Grübeln, Verleugnen, Verharmlosen, Entpersonalisieren
    • emotional: Dissoziation, Depression, Wut, Schuld, Scham, Selbsthass, Selbstverachtung
  • "Achtsamkeit" = metacognitive awareness Training
    • Training der Selbstreflexion, Mentalisierung: "Was macht mein Gehirn", Automatismen/automatische Gedanken erkennen
    • neurobiologisch 4 Phasen:
      1. Fokussierung, "Auftrag"
      2. "resting state" (Ablenkung, Unaufmerksamkeit)
      3. Bemerken → kognitiver "Sprung"
      4. Re-Orientierung

praktische Hinweise

  • möglichst viel über Fragebögen/Listen abfragen → weniger Scham, nichts übersehen
  • im Gespräch wenig offene Fragen, mehr konkrete Vorschläge:
    • "Viele Patientinnen berichten, dass ... Kennen Sie das auch?"
    • "Viele Patientinnen haben Angst, darüber zu sprechen, weil ... (Verbote) Ist das bei Ihnen auch so?
  • Thema Sexualität:
    • meistens Sex → Dissoziation
    • aber auch: aktive Erinnerung an Trauma → sexuelle Erregung
  • Thema Essen/Trinken:
    • häufig Trinkvermeidung (Ekel) → erfragen, Glas Wasser trinken lassen
  • therapeutische Beziehung: Risiko
    • → je sympathischer der Therapeut, desto mehr Scham der Patientin
    • nicht Freund, sondern Experte → Kompetenz durch aktives Ansprechen/Benennen von Themen, keine Tabus/Hemmungen, "alles schon gehört"
  • medizinische Probleme: aktiv nachfragen, abklären (z.B. Zahnarzt: aversiv wegen Manipulation im Mund → oft schlechter Zahnstatus)
  • kein nachgewiesener Unterschied männlicher/weiblicher Therapeut → beide (Mit-)Täter, Übertragungsphänomene
  • klarmachen: Wahrnehmung/Erinnerung aus Sicht des Kindes! z.B. Größenverhältnisse, Gefühle
  • viel Erklären: "trickreiches Gehirn"

Ablauf/Phasen

Phase 1: Commitment

  • Diagnostik
    • Kontraindikationen:
    • Abhängigkeit, Anorexie mit BM < 16, akute Psychose, Manie, internistische Erkrankung
    • Suizidversuch oder schwere SV in den letzten 4 Monaten
    • Schweregrad (BSL)
    • Ausmaß dysfunktionaler Verhaltensmuster (SBDI)
    • Lebenslinie (life line)
  • Einführung:
    • Verhaltensanalysen
    • Skills-Training (CD-ROM)
    • Achtsamkeitsübungen
  • Therapievertrag, Non-Suicide-Contract

Phase 2: Planung und Motivation

  • Vorbereitung, Analyse von Faktoren, die Exposition behindern könnten (Krisengeneratoren)
    • noch Sex mit Täter
    • Selbstverletzung
    • körperliche Erkrankungen (Zähne!)
    • Aggression
    • Hochrisiko-Verhalten
  • Partnerproblematik
    • Dissoziation, Substanzmissbrauch, schwere Depression
  • Motivation: alter Weg - neuer Weg
    • Werte und Ziele
      • Werte: allgemein
      • Ziele: konkret ("100 Euro") → "Warum/wofür tue ich das?" → "ticket", verankern
    • Monsters: automatische Gedanken, selbstabwertend → Change or accept
    • Obstacles: Mangel an Fertigkeiten/Fähigkeiten
    • Service Areas: angenehme Raststätten während der Reise, aber kein dauerhafter Aufenthaltsort
  • PTSD-Störungsmodell gemeinsam erarbeiten:
    1. Auslöser (Situation/Flashback)
    2. Traumanetzwerk: Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle
    3. Vermeidung, Flucht → kognitive/emotionale/behaviorale Vermeidungs-/Fluchtstrategien → kein Lernen!
    • "mein Gehirn macht das" (tricky brain) → "Wie bringen wir ihm bei, dass das alles Vergangenheit ist?"
    • Überwältigung/Vermeidung → Akzeptanz: Erinnerung bleibt (Wunde/Narbe)
    • "Wasserball"-Metapher
  • Definition Indextrauma: intensivste Intrusionen
  • weiter Psychoedukation, tgl. Training innere Achtsamkeit, Sportprogramm, Skills
  • Entscheidung für Auseinandersetzung

Phase 3: Bearbeitung von Escape-Strategien

  • Bearbeitung problematischer Verhaltensweisen:
    • Paargespräch
    • kognitive Techniken (z.B. Schuldkreis), Funktionalität sekundärer Emotionen
    • Diskriminationstraining (Ekel)
    • Stress-Toleranz-Skills
    • Kontingenzmanagement (Essen, Trinken, Schlafen, SV)
    • Selbstmanagement bei Dissoziation
  • z.B. Umgang mit Schuldgefühlen:
    • Psychoedukation: Abwehr von Ohnmacht
    • Schuldkreis
    • "Verantwortung" statt Schuld
    • kognitiv: Columbo-Technik

Phase 4: Exposition

  • Voraussetzungen:
    • kein Suizidversuch/schwere SV in den letzten 4 Wochen
    • selbständiger Einsatz von Skills, bessere Kontrolle über Dissoziation
    • rationale Distanz von Schuldgefühlen
    • Entscheidung für Exposition
  • Therapierational: Kontextlernen und Elaboration des Trauma-Gedächtnis → Symptom-Reduktion, v.a. belastender Emotionen
  • Ziele:
    • unkontrolliertes Wiedererleben → kontrollierbares Erinnern
    • Revision sekundärer Emotionen und dysfunktionaler Kognitionen
  • Diskriminationstraining: Unterschiede damals - heute
  • gestufte, skills-assistierte Exposition des Indextraumas:
    1. Bericht über Ereignis
    2. schriftlicher Bericht, vorlesen
    3. imaginative Aktivierung des Traumanetzwerks bei gleichzeitigem Kontakt zur Gegenwart
      • Fokus auf primäre Emotion (Ohnmacht, Ekel, ...) → Revision von sek. Emotionen
      • Skills: Balance-Board, Coolpack, sensorischer Input
      • Kontakt: Hände geben, wenn erlaubt → Körpertonus/Dissoziation, Gegenwartsbezug, gegen Scham
    4. tgl. Anhören der aufgenommen Exposition (mit Bewegung: Fahrrad, Laufen, ...)
  • Monitoring: Flashbacks, subjektive Belastung
  • kognitive Nachbereitung, z.B. Schuldgefühle
  • Sätze zum Annehmen des Erlebten
  • bei Alpträumen: Imagery Rehearsal Therapy

Phase 5: Entfaltung des Lebens

  • Leben neu orientieren/zurückerobern
  • Akzeptanz des Erlebten: "So ist das"
    1. Sätze Aufschreiben
    2. laut selber vorlesen
    3. dem Therapeuten vorlesen
    4. einem Freund vorlesen
  • Verhaltensexperimente, ggf. Expositionen
  • Lebensqualität
    • Verbesserung des Körperbildes
    • Partnerschaft und Freundschaften
    • berufliche Tätigkeit
  • ACT-Matrix: weg - hin zu wichtigen Verhaltensweisen/Personen

Ergebnisse

  • PITT wirkungslos → Stabilisation nicht erforderlich
  • Standard-DBT: kaum wirksam
  • Selbstverletzung, SV-Druck, Suizidalität und Suizidgedanken steigen nicht an!

Fragebögen

  • CAPS = Clinician-Administered PTSD Scale
  • PDS = Posttraumatic Diagnostic Scale
  • BSL = Borderline Symptom Liste
  • FDS = Fragebogen für dissoziative Symptome
  • SCL = Symptomcheckliste
  • SBDI = Severe Behavior Dyscontrol Interview)

Weblinks