Gestalttherapie: Unterschied zwischen den Versionen

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* = Achtsamkeit
* = Achtsamkeit
* Ziel: Reaktivierung und Wahrnehmung emotionaler Bedürfnisse → Überwindung der Kontaktstörung
* Prinzip des Hier-und-Jetzt: gegenwärtige Situation = Ort der Veränderung
Das dialogische Prinzip[Bearbeiten]Durch die direkte und konkrete Arbeit an aktuellen Situationen und an der Beziehung zwischen Klient und Therapeut soll der Kontakt des Patienten zu sich selbst und zu seiner Umwelt gefördert und unterstützt, sollen bestehende Kontaktstörungen überwunden werden. Auf diese Weise werden die Selbstheilungskräfte des Patienten freigelegt und neue Einsichten, Erfahrungen und Verhaltensmöglichkeiten erschlossen. Die Gestalttherapie betrachtet die Selbstheilungskräfte als Teil der organismischen Selbstregulation, also der Fähigkeit des Organismus, sich in seiner Umgebung zu erhalten. Durch verschiedene Übungen und methodische Grundhaltungen soll die Selbstregulation gefördert werden.
Die therapeutische Beziehung in der Gestalttherapie – verstanden als Dialogische Gestalttherapie – orientiert sich an den Grundsätzen der existentiellen Beziehungsphilosophie Martin Bubers, der ‚dialogischen Haltung‘. Buber unterscheidet zwischen dem Handeln aus einer sog. Ich-Es-Haltung („sachlich“, auf ein Objekt bezogen, auch wenn das Gegenüber ein Mensch ist) und dem Handeln aus einer sog. Ich-Du-Haltung heraus, einer Hinwendung zum anderen Menschen auf gleicher Ebene, bei der die Person in ihrer Einzigartigkeit wertgeschätzt wird, ohne einen Zweck zu verfolgen. Beide Haltungen stehen in einem Wechselverhältnis zueinander und werden je nach Erfordernis der Situation gewählt. Diese Haltung, in der die Therapiesituation als eine besondere Begegnung im Sinne Bubers verstanden wird, die ein hohes Maß an Authentizität und Wahrhaftigkeit erfordert, ist grundlegend für die Gestalttherapie.
Kontaktfunktionen[Bearbeiten]Zu den sogenannten Kontaktfunktionen gehören Projektion, Introjektion, Retroflektion, Konfluenz und Deflektion. Sie werden auch als „Kontaktstörungen“ oder als „Kontaktunterbrechungen“ begriffen. Entgegen einem häufigen Missverständnis haben sie zwei Seiten, eine eher störungsschaffende und eine „normale“, die u. a. zumindest zeitweise Problemlösungscharakter besitzt oder schlichtweg Teil der organismischen Selbstregulierung ist. Die gegenwärtige Gestalttherapie spricht daher in der Regel von „Kontaktfunktionen“.
Insbesondere das Konzept der „Introjektion“ ist nicht identisch mit der psychoanalytischen Definition. Fritz und Laura Perls setzen die Assimilation der Introjektion entgegen. Bei der Assimilation verwandelt der Organismus (als Gesamtheit von Körper, Geist und Seele) Neues aus der Umwelt in Eigenes, das er zur Selbsterhaltung und zum Wachstum benötigt. Dabei wird das Neue an der Kontaktgrenze des Organismus mit der Umwelt geprüft, „zerstört“ und umgewandelt, so dass es assimiliert werden kann. Dazu ist positiv verstandene Aggression notwendig. Nicht-brauchbares Material wird nicht übernommen. Fritz und Laura Perls sehen dies in Analogie zum „Kauen“ beim Prozess der Nahrungsaufnahme.
Bei der Introjektion wird das Neue aus der Umwelt ohne Prüfung und Umwandlung als Ganzes in den Organismus aufgenommen, da an der Kontaktgrenze u. a. die Bewusstheit herabgesetzt ist oder völlig fehlt, und „aggressives“ Zerstören und Überprüfen daraufhin, was für den Organismus sinnvoll ist und was nicht, nicht geschieht. Das so entstandene Introjekt bleibt im Organismus ein Fremdkörper. Dieser Prozess wird analog zum Saugen bzw. Schlucken bei der Nahrungsaufnahme verstanden.[7]
Anstelle des Kontakts mit dem Neuen ist bei der Introjektion „Konfluenz“ getreten. Konfluenz bezeichnet einen Zustand an der Kontaktgrenze, bei dem die Bewusstheit herabgesetzt ist, oder vollständig fehlt, und/oder bei dem die Kontaktgrenze selbst nicht mehr vorhanden ist.[8]
Auf der Ebene alltäglichen Verhaltens kann man einen Menschen als vornehmlich konfluent bezeichnen, wenn er „sich immer nach den Erwartungen anderer richtet, jeden Konflikt vermeidet, Harmonie und Nähe um jeden Preis herstellen will, ...“[9]
Kontaktstörung[Bearbeiten]Ein Grundbegriff des Konzeptes ist der der „unabgeschlossenen Gestalt“, was bedeutet, dass der Anpassungsprozess des Organismus/der Psyche an die Umwelt (und umgekehrt) als Kontaktprozess aufgrund möglicher Störungen nicht vollständig geschehen konnte. Ergebnis ist eine Kontaktstörung. Damit konnte sich eine „vollständige (oder ‚geschlossene‘) Gestalt“ im Sinne einer abgeschlossenen Anpassungsleistung nicht ausbilden.
Ursprünglich stammt der Begriff der „Gestalt“ aus der Gestaltpsychologie, einer Psychologie der Wahrnehmung. Fritz und Laura Perls wenden ihn aber auf den ganzen Organismus an und orientieren sich dabei vornehmlich an der Gestalttheorie des Neurologen Kurt Goldstein und seiner ganzheitlichen Theorie des Organismus. Schöne Beispiele für Anpassungsleistungen und somit Schließen von Gestalten finden sich in den Veröffentlichungen von Oliver Sacks.


, Wahrnehmung aller gerade vorhandenen und zugänglichen Gefühle, Empfindungen und Verhaltensweisen des Klienten. Der Klient soll dadurch in die Lage versetzt werden, seine Kontaktstörungen, die ihn daran hindern, mit seiner Umwelt in einen befriedigenden Austausch zu treten, als solche zu erkennen und zu erleben. Über die Reaktivierung emotionaler Bedürfnisse und der Wahrnehmung derselben soll es dem Klienten ermöglicht werden, seine Kontaktstörung zu überwinden.


Bewusstheit bzw. Gewahrsein kann sowohl eine absichtslose, aktive, innere Haltung der Aufmerksamkeit/Achtsamkeit als auch eine mehr gerichtete Form der Aufmerksamkeit/Achtsamkeit bezeichnen und sich auf alle Phänomene der Wahrnehmung und des Erlebens richten. Daraus folgt eines der wichtigsten Arbeitsprinzipien der Gestalttherapie, das Prinzip des Hier-und-Jetzt: Die gegenwärtige Situation, auch die zwischen Klient und Therapeut, wird als der entscheidende „Ort“ betrachtet, wo Veränderung geschieht. Vergangenheit und Zukunft kommen auch in dieser gegenwärtigen Situation ins Spiel: z. B. als Erinnerung oder als Planung. Methodisch geschieht die Förderung des Gewahrseins u. a. durch die direkte Rückmeldung des Therapeuten oder durch den Einsatz von Übungen oder von Experimenten, die aus der konkreten Therapiesituation heraus entwickelt werden.





Version vom 15. Januar 2016, 10:21 Uhr

Grundlagen

  • Fritz und Laura Perls, Paul Goodmann
  • 1951 Hauptwerk "Gestalttherapie"
  • nach Trennung:
    • Fritz Perls → eher harter, oft konfrontativer "Westküstenstil"
    • Laura Perls → weicherer und integrativer "Ostküstenstil"
  • phänomenologisch, erfahrungs- und erlebensorientiert
  • Ziel: Stimmigkeit und Integration psychischer Prozesse, Reifung der Persönlichkeit nach innen und außen
  • Entwicklung aus Psychoanalyse → Kritik und Abgrenzung
  • Merkmale/Ziele:
    • Bewusstheit/Gewahrsein ("awareness") für alle gerade vorhandenen Gefühle, Gedanken, Empfindungen, Verhaltensweisen
    • Erkennen automatisierter/unbewusster Verhaltensmuster → Entscheidungsmöglichkeit
    • konkrete Arbeit an aktuellen Situationen und an der Beziehung zwischen Klient und Therapeut
    • Therapeut als partnerschaftlichen Begleiter → Techniken/Übungen gemeinsam entwickeln = Angebot
    • Ziele insgesamt und im Einzelfall immer transparent

Begriffe

Gestalt

  • = ein sinnvolles Ganzes, Sinn, Struktur, kohärente Gesamtheit
  • entsteht im Vordergrund vor einem Hintergrund (→ Gestaltpsychologie, Wahrnehmungspsychologie)
  • Wirklichkeit von vereinzelten Sinnesqualitäten/Einzelelemente wird verneint → Wahrnehmung nur als sinnvolle Ganzheiten = "Gestalten" möglich
  • Wahrnehmung, soziales Leben, Eigenexistenz → Ausdruck einer komplexen Sinngebung
  • "Das Ganze ist mehr/anders als die Summe seiner Einzelelemente"
  • Bedürfnis = offene Gestalt → taucht aus/vor Hintergrund auf → wird im Vordergrund zur Figur → muss geschlossen werden → taucht wieder in Hintergrund ein

Gewahrsein (awareness)

  • = Achtsamkeit
  • Ziel: Reaktivierung und Wahrnehmung emotionaler Bedürfnisse → Überwindung der Kontaktstörung
  • Prinzip des Hier-und-Jetzt: gegenwärtige Situation = Ort der Veränderung

Das dialogische Prinzip[Bearbeiten]Durch die direkte und konkrete Arbeit an aktuellen Situationen und an der Beziehung zwischen Klient und Therapeut soll der Kontakt des Patienten zu sich selbst und zu seiner Umwelt gefördert und unterstützt, sollen bestehende Kontaktstörungen überwunden werden. Auf diese Weise werden die Selbstheilungskräfte des Patienten freigelegt und neue Einsichten, Erfahrungen und Verhaltensmöglichkeiten erschlossen. Die Gestalttherapie betrachtet die Selbstheilungskräfte als Teil der organismischen Selbstregulation, also der Fähigkeit des Organismus, sich in seiner Umgebung zu erhalten. Durch verschiedene Übungen und methodische Grundhaltungen soll die Selbstregulation gefördert werden.

Die therapeutische Beziehung in der Gestalttherapie – verstanden als Dialogische Gestalttherapie – orientiert sich an den Grundsätzen der existentiellen Beziehungsphilosophie Martin Bubers, der ‚dialogischen Haltung‘. Buber unterscheidet zwischen dem Handeln aus einer sog. Ich-Es-Haltung („sachlich“, auf ein Objekt bezogen, auch wenn das Gegenüber ein Mensch ist) und dem Handeln aus einer sog. Ich-Du-Haltung heraus, einer Hinwendung zum anderen Menschen auf gleicher Ebene, bei der die Person in ihrer Einzigartigkeit wertgeschätzt wird, ohne einen Zweck zu verfolgen. Beide Haltungen stehen in einem Wechselverhältnis zueinander und werden je nach Erfordernis der Situation gewählt. Diese Haltung, in der die Therapiesituation als eine besondere Begegnung im Sinne Bubers verstanden wird, die ein hohes Maß an Authentizität und Wahrhaftigkeit erfordert, ist grundlegend für die Gestalttherapie.

Kontaktfunktionen[Bearbeiten]Zu den sogenannten Kontaktfunktionen gehören Projektion, Introjektion, Retroflektion, Konfluenz und Deflektion. Sie werden auch als „Kontaktstörungen“ oder als „Kontaktunterbrechungen“ begriffen. Entgegen einem häufigen Missverständnis haben sie zwei Seiten, eine eher störungsschaffende und eine „normale“, die u. a. zumindest zeitweise Problemlösungscharakter besitzt oder schlichtweg Teil der organismischen Selbstregulierung ist. Die gegenwärtige Gestalttherapie spricht daher in der Regel von „Kontaktfunktionen“.

Insbesondere das Konzept der „Introjektion“ ist nicht identisch mit der psychoanalytischen Definition. Fritz und Laura Perls setzen die Assimilation der Introjektion entgegen. Bei der Assimilation verwandelt der Organismus (als Gesamtheit von Körper, Geist und Seele) Neues aus der Umwelt in Eigenes, das er zur Selbsterhaltung und zum Wachstum benötigt. Dabei wird das Neue an der Kontaktgrenze des Organismus mit der Umwelt geprüft, „zerstört“ und umgewandelt, so dass es assimiliert werden kann. Dazu ist positiv verstandene Aggression notwendig. Nicht-brauchbares Material wird nicht übernommen. Fritz und Laura Perls sehen dies in Analogie zum „Kauen“ beim Prozess der Nahrungsaufnahme.

Bei der Introjektion wird das Neue aus der Umwelt ohne Prüfung und Umwandlung als Ganzes in den Organismus aufgenommen, da an der Kontaktgrenze u. a. die Bewusstheit herabgesetzt ist oder völlig fehlt, und „aggressives“ Zerstören und Überprüfen daraufhin, was für den Organismus sinnvoll ist und was nicht, nicht geschieht. Das so entstandene Introjekt bleibt im Organismus ein Fremdkörper. Dieser Prozess wird analog zum Saugen bzw. Schlucken bei der Nahrungsaufnahme verstanden.[7]

Anstelle des Kontakts mit dem Neuen ist bei der Introjektion „Konfluenz“ getreten. Konfluenz bezeichnet einen Zustand an der Kontaktgrenze, bei dem die Bewusstheit herabgesetzt ist, oder vollständig fehlt, und/oder bei dem die Kontaktgrenze selbst nicht mehr vorhanden ist.[8]

Auf der Ebene alltäglichen Verhaltens kann man einen Menschen als vornehmlich konfluent bezeichnen, wenn er „sich immer nach den Erwartungen anderer richtet, jeden Konflikt vermeidet, Harmonie und Nähe um jeden Preis herstellen will, ...“[9]

Kontaktstörung[Bearbeiten]Ein Grundbegriff des Konzeptes ist der der „unabgeschlossenen Gestalt“, was bedeutet, dass der Anpassungsprozess des Organismus/der Psyche an die Umwelt (und umgekehrt) als Kontaktprozess aufgrund möglicher Störungen nicht vollständig geschehen konnte. Ergebnis ist eine Kontaktstörung. Damit konnte sich eine „vollständige (oder ‚geschlossene‘) Gestalt“ im Sinne einer abgeschlossenen Anpassungsleistung nicht ausbilden.

Ursprünglich stammt der Begriff der „Gestalt“ aus der Gestaltpsychologie, einer Psychologie der Wahrnehmung. Fritz und Laura Perls wenden ihn aber auf den ganzen Organismus an und orientieren sich dabei vornehmlich an der Gestalttheorie des Neurologen Kurt Goldstein und seiner ganzheitlichen Theorie des Organismus. Schöne Beispiele für Anpassungsleistungen und somit Schließen von Gestalten finden sich in den Veröffentlichungen von Oliver Sacks.