Posttraumatische Belastungsstörung

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Grundlagen

  • PTBS = PTSD (posttraumatic stress disorder)
  • spezifische Form einer Traumafolgestörung
  • "normale Reaktion auf extreme/abnorme Situation"
  • häufig Komorbidität
  • häufig übersehen bei
    • lange zurückliegender Traumatisierung (Kinder, Kriegserfahrungen)
    • auffälliger Komorbidität
    • unklaren Schmerzsyndromen
    • misstrauischem, feindseligem oder emotionale-instabilem Verhalten
    • bei med. Eingriffen, Diagnosen
  • Neurobiologie:
    • Amygdala ↑
    • PFC ↓
    • noradrenerge Reaktion ↑

Traumatisierung

  • Definition "Trauma"
    • objektive Kriterien:
      • Bedrohung der eigenen körperlichen und psychischen Unversehrtheit oder der von anderen
      • reale Gefahr für sich oder andere erlebt, beobachtet oder damt konfrontiert
    • subjektives Erleben:
      • intensive Furcht, Hilflosigkeit, Kontrollverlust oder Entsetzen
      • Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses
  • Unterscheidung ("Schuld"): Mensch oder Umwelt
  • größtes Risiko für PTBS:
    • sexuelle Übergriffe
    • Krieg, Folter, Vertreibung
  • nicht zu vernachlässigen:
    • Mitteilung einer med. Diagnose (chron. oder tödliche Erkrankung, z.B. Krebs)
    • Aufenthalte auf Intensivstation
Typ Merkmale Beispiele Konsequenzen
Typ I einzelnes, unerwartetes Eriegnis von kurzer Dauer Vergewaltigung im Erwachsenenalter, schwerer Verkehrsunfall, Überfall, Naturkatastrophe meist kalre, lebendige Erinnerungen; Vollbild der PTSD; meist schnelle Remission, gute Prognose
Typ II Serie von verbundenen Ereignissen oder langandauerndes Ereignis wiederholte sexuelle/körperliche Gewalt in der Kindheit oder Partnerschaft, Geiselhaft, Kriegserfahrung oft diffuse, bruchstückhafte Erinnerungen; Dissoziationsneigung; dysfunktionale Grundüberzeugungen/Schemata; komplexe PTSD; schlechtere Prognose

kognitiv-behaviorales Modell nach Ehlers/Clark

  • Traumagedächtnis:
    1. ungenügende Elaboration = Einbettung in autobiographisches Gedächtnis:
      • "Hier-und-Jetzt-Qualität" → gegenwärtige Bedrohung (extern, intern)
      • erschwerter willentlicher Zugriff (lückenhaft, fragmentiert, disorganisiert)
    2. starke assoziative Verknüpfungen:
      • "one trial learning"
      • sensorische Wiedererinnerung (nicht kognitiv-verbal) → "Emotion ohne Erinnerung"
    3. implizites Gedächtnis:
      • starkes Priming, schwierige Stimulusdiskrimination
      • Reiz-Generalisierung → vielfältige Trigger (nur lose Assoziation), auch intern (Emotion, Körperwahrnehmung)
  • dysfunktionale Interpretationen:
    • stark abhängig von Kognitionen während des Traumas:
    • negativ: Sich-aufgeben, Verlust jeglicher Autonomie
    • Schuldgefühle: für Ereignis/Ausgang verantwortlich
    • Ärger: Ungerechtigkeit
    • Scham: Regeln eigenen Verhaltens verletzt
    • Trauer: Verlust
    • Furcht: Übergeneralisierung
    • negative Interpretation/Attribution des Ereignisses und seiner Folgen (Symptome, Konsequenzen, Reaktionen anderer) → intern, stabil, generell
  • Vermeidung → verhindert Verarbeitung, Löschung, Neubewertung:
    • kognitiv: Grübeln, negative Attributionen
    • behavioral: Reizvermeidung, Sicherheitsverhalten, Alkohol/Medikamente, Dissoziation
    • 2-Faktoren-Modell von Mowrer:
      • Trigger → klassische Konditionierung
      • Vermeidung → operante Konditionierung

Verlauf

  • Trauma
    • → Bewältigung
      • → Integration/Kompensation
    • → Anpassungsstörung
      • → Bewältigung → Integration/Kompensation
      • → Depression, Angst, Somatisierung, Sucht
    • akute Belastungsreaktion
      • → Bewältigung → Integration/Kompensation
      • → Depression, Angst, Somatisierung, Sucht
      • → PTBS
        • → komplexe PTBS, Persönlichkeitsveränderung
  • Zahlen:
    • Prävalenz 1-2%
    • 50% Remission nach 6 Monaten, 50% Chronifizierung
    • verzögerter Beginn bei 10%
    • sexueller Missbrauch: 7% bei Frauen, 1,4% bei Männern
    • hohe Dunkelziffer: nur 10-20% werden angezeigt
    • BPS: 40-70% komplexe PTBS
    • chronische Depression: 60% frühes Trauma
  • Prävalenz:
    • Lebenszeitprävalenz traumatischer Ereignisse: > 50%
    • Lebenszeitprävalenz PTSD: w=10%, m=5% → bei Frauen höheres Risiko, PTSD zu entwickeln
    • 50% nach Vergewaltigung und bei Kriegs-/Vertreibungs-/Folteropfern
    • 25% nach Gewaltverbrechen
    • 10% nach Verkehrsunfall oder schwerer Erkrankung (Herzinfarkt, Krebsdiagnose)

Symptome

  1. Wiedererleben des Traumas: Intrusionen, Flashbacks, Alpträume, Geruchts-/Geschmacks-/Körpererinnerungen → Realitätsverlust
  2. Vermeidungsverhalten: alle mit Trauma assoziierten Stimuli (Männer, Sexualität, Dunkelheit, Orte, ...)
  3. dauerhafte Übererregung: Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen
  • emotionale Taubheit: innere Leere, Freud- und Interesselosigkeit
  • chronische Suizidalität
  • Selbstwertverlust, Vertrauensverlust, Schuld- und Schamgefühle

Diagnose

  • nach klinischen Kriterien: ICD-10-Posttraumatische Belastungsstörung
  • strukturierte Erfassung:
    • DIPS (Diagnostisches Interview bei Psychischen Störungen)
    • SKID (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV)
    • Impact of Event Scale
    • PDS (Posttraumatic Stress Diagnostic Scale)
    • PTCI (Posttraumatic Cognitions Inventory)
    • Komorbidität: BDI, BAI
    • Verlaufsmessung: NRS 0-100
      1. "Wie belastet fühlen Sie sich, wenn Sie an das Ereignis und die Folgen denken?" = SUD (Subjective Units of Distress)
      2. "Zu welchem Grad haben Sie sich mit dem Ereignis abgefunden?"

komplexe PTSD

siehe komplexe PTSD

Therapie

  • Ziel:
    • kein "Ungeschehenmachen", sondern Integration in Biographie
    • Symptomlinderung:
      • Wiedererleben → Kontrolle über Bilder
      • Kognitionen → hiflreiche/realistische Bewertungen
      • physiologisch → Reduktion der Anspannung/Erregung
    • psychosoziale Intergation, Alltagsfähigkeit, Erwerbsfähigkeit

generelle Maßnahmen

  • Herstellen einer sicheren Umgebung (Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung)
  • Helfersystem organisieren
  • Psychoedukation/Informationsvermittlung
  • frühes Hinzuziehen eines mit PTBS erfahrenen Therapeuten
  • Stabilisierung nach Bedarf:
    • therapeutische Beziehung
    • engmaschige Anbindung
    • Selbst-/Fremdgefährdung
    • Affektregulation, Selbst-/Beziehungsmanagement, soziale Kompetenzen
    • Symptomkontrolle
    • Pharmakotherapie
    • Cave Suchtmittelgebrauch (Benzodiazepine)
    • zusätzlich Kunst-/Gestaltungs-/Ergo-/Körpertherapie
  • Nicht machen:
    • nicht-traumaadaptierte Psychotherapie
    • alleinige Pharmakotherapie
    • Traumatherapie ohne Gesamtbehandlungsplan

KVT

  • eher kurze Stabilisation: Kontrolle über Selbst-/Fremdgefährdung, Dissoziation, gute Anbindung
  • Umgang mit Intrusionen und Flashbacks:
    • kurzfristig: Skills
    • langfristig: Triggeranalyse, Reizdiskrimination ("damals und dort, hier und jetzt" → nicht real, "nur" Erinnerungen/Bilder/Gefühle)
  • Konfrontationstherapie: Modifikation des Traumagedächtnisses
    • Exposition in sensu: Trauma im Bericht "wiedererleben" → Löschung der konditionierten Angstreaktion, Habituation, Integration
    • KI: psychotisches Erleben, Suizidalität, SV, Täterkontakt mit bestehender Bedrohung, schwere Dissoziationsneigung
  • Modifikation dysfunktionaler Überzeugungen/Schemata, z.B. von Schuldgefühle: Psychoedukation, (Illusion von) Kontrolle, Schutz des Selbstbildes oder von Beziehungen bzw. Bild von anderen → Denkfehler der Retrospektive; Schuldgefühle vs. Schuld
    • "Sie haben überlebt, also offensichtlich das zum Überleben richtige getan"
  • Abbau von Sicherheits-/Vermeidungsverhalten: Exposition in vivo (Hierarchie, Alltagsrelevanz)
  • Ressourcenstärkung
    • z.B. Imaginationsübungen: Sicherer Ort, Tresorübung → Kontrolle über Bilder
    • → wiederholen und üben, ggf. modifizieren; Symbol → Anker (→ Gestaltungstherapie)
  • keine Entspannungs-, besser Achtsamkeitsübungen (Augen auf)
  • Beziehungsgestaltung: Woran erkenne ich eine gute/funktionierende Beziehung?
  • psychosoziale Reintegration:
    • soziale Unterstützung (Finanzen, Wohnen, Beruf)
    • Angehörige einbeziehen
    • Opferhilfsorganisationen, Opferentschädigungsgesetz
    • Auseinandersetzung mit Verlusten und Einbußen
    • intrapsychische Neuorientierung
    • Rückfallprophylaxe, Hilfe bei schwerer Belastung
    • Zukunftsperspektiven
  • Traumatherapie endet nicht mit der Traumabearbeitung!

weitere Therapieverfahren

Pharmakotherapie

  • in der Frühphase nach Traumatisierung
    • keine Benzos → deutliche Prognoseverschlechterung
    • Propranolol → möglicherweise hilfreich
    • andere Pharmaka: Nutzen unklar
  • bei Vollbild PTSD:
    • SSRI zugelassen (in D: Paroxetin), hochdosiert und lange
    • atypische Neuroleptika bei Therapieresistenz
    • bei Alpträumen: Prazosin 2-10 mg (Cave: Kreislauf/Blutdruck)

Quellen und Weblinks