Psychodynamische Theorien

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Krankheitslehre

  • Entwicklungspsychologie
  • Lehre vom Unbewussten (Struktur, Konflikte)
  1. Triebpsychologie
  2. Ich-Psychologie
  3. Selbstpsychologie
  4. Objektbeziehungspsychologie

Lehre vom Unbewussten

  • Grundanahme der Psychoanalyse: Seelenleben im Wesentlichen unbewusst
  • betrifft Handlungen, Haltungen und Muster der (emotionalen und kognitiven) Bewertung
  • Unbewusstes - Vorbewusstes - Bewusstsein
  • dynamisches Unbewusstes nur zu erkennen in
    • neurotischen Symptomen
    • Fehlhandlungen
    • Träumen/Fantasien → Traumanalyse
    • sich wiederholende Beziehungsmuster (Wiederholungszwang)
    • Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmalen, die nicht willentlich gesteuert sind
  • das Unbewusste → Primärvorgang
    • Verdichtung, Verschiebung, Zeitlosigkeit, keine Logik, impulshaftes Handlen
    • Lust-Unlust-Prinzip
  • das Bewusstein (Vorbewusste) → Sekundärvorgang
    • logisches und realitätsbezogenes Handeln
    • Realitätsprinzip

Strukturmodell

  • "seelischer Apparat"
  • topographisches Modell: bewusst - vorbewusst - unbewusst
  • Instanzenmodell: Es, Ich, Über-Ich → Konflikte
    • Es:
      • primäre Grundbedürfnisse (→ Trieblehre)
      • unbewusst
      • Ausgangspunkt aller Entwicklung → Suche nach Wegen der Triebbefriedigung
      • alle körpernahen Wünsche
      • Lustprinzip
    • Ich:
      • entsteht aus dem Triebapparat
      • dient der Unlustvermeidung
      • Sinnesfunktionen/Wahrnehmung
      • Realitätsprinzip
      • vermittelt zwischen basalen Bedürfnissen (Trieben), verinnerlichten Werten (Über-Ich) und den Anforderungen der Realität
    • Über-ich:
      • Gewissen, Selbstbeobachtung, Idealbildung → Zensor, Richter → Schuldgefühle, Minderwertigkeit
      • z.T. unbewusst
      • Ideal-Ich: ethisch-moralische Idealvorstellungen, verinnerlichte Werte und Normvorstellungen

Strukturpathologie

  • Struktur = psychische Differenzierung
  • Entwicklungsschritte 1.-4. LJ:
    • ausreichend gute Mutter (Winnicott) → gutes Selbsterleben
    • Frustration → undifferenzierte negative Selbst-/Objektrepräsentanzen
    • Loslösung/Individuation → undifferenzierte negative und positive Selbst-/Objektrepräsentanzen, noch keine Integration → Spaltung
    • bei Erreichen der Objektkonstanz → Differenzierung Selbst/Objekt → Integration negativer/positiver Aspekte von Selbst/Objekten
    • über Identifikation/Internalisierung → reife Strukturen (Es, Ich, Über-ich)
  • Entwicklungsleistung → Voraussetzung für reife Abwehr
  • bei Mangelzuständen (Vernachlässigung, emotionale Ablehnung, Misshandlung) → chronische Überfoderung des Ich
  • strukturelle Ich-Störung = frühe Störung = Borderline-Persönlichkeitsorganisation
    • unzureichende Selbst-Objektdifferenzierung → fusionäre Objektbeziehungen
    • unzureichende Ich-Differenzierung → Identitätsdiffusion
    • unreife/frühe Abwehrmechanismen → Spaltung, projektive Identifikation
    • mangelnde Realitätsprüfung, verzerrte Wahrnehmung
  • siehe OPD-Achse IV

Konflikt und Neurose

  • Gruppe von seelisch bedingten Krankheiten
  • Symptome beruhen auf
    1. inneren unbewusten Konflikten
      • Versuch, Symptomen einen Sinn zu geben (Konfliktlösung) und biograpisch zu verstehen
      • Symptome → Audruck einer spezifischen Verarbeitung von Konflikten mit den primären Bezugspersonen in verschiedenen Entwicklungsstadien
    2. Struktur: Entwicklungsstörungen des Ichs, des Selbst oder der Objektbeziehungen
    3. psychischen Traumata
  • Abgrenzung Normalität - Neurose rein quantitativ = Übermaß an Benutzung von Abwehrmechanismen
  • allgemeine Neurosenlehre: Psychodynamik seelischer Vorgänge
  • spezielle Neurosenlehre: Beschreibung einzelner Neuroseformen, z.B. Angstneurose, depressive Neurose
  • Symptomneurose: Konfliktbewältigung verursacht Symptome → ich-dyston
  • Charakterneurose: Konfliktbewältigung verursacht Verformung der Persönlichkeit (→ Persönlichkeitsstörung) → ich-synton
  • Aktualneurose: Ursache nicht in Kindheit (Konflikte, Traumatisierungen), sondern aktuelle Veranlassung → kein analytisches Behandlungsverfahren erforderlich!
    1. Angstneurose
    2. Neurasthenie
    3. Hypochondrie
  • Konzept der Desomatisierung/Resomatisierung (Max Schur, 1955):
    • Entwicklung/Reifung als fortlaufender Prozess der Desomatisierung
    • Resomatisierung = regressives Phänomen → direkte Umwandlung in körperliche Symptome → somatoforme Störungen
  • Verlauf abhängig von
    • infantile Entwicklung (strukturelle Vulnerabilität, Traumatisierung)
    • Ich-Stärke
    • sekundärer Krankheitsgewinn (= Konditionierung durch Zuwendung durch Partner, Gesellschaft)
    • psychosoziale Abwehrformen (→ Stabilisation durch z.B. komplementäre Beziehungsmuster)
  • Therapie: durch Einsicht zur Katharsis


Triebpsychologie

  • Freud: "Es-Analyse", Fokus auf libidinöse/aggressive "Triebe"
  • Mensch durch biologische Grundbedürfnisse bestimmt
  • Triebe =
    • hypothethische biologische Entitäten (nicht naturwissenschaftlich nachweisbar)
    • somatischer Ursprung
    • psychische Repräsentanz = Wünsche, Bedürfnisse, Affekte
    • primärer Antrieb → Arbeitsanforderung für Ich und Über-Ich
    • Ziel: Befriedigung = Aufhebung von Spannung
    • benötigen Objekt (eigene/andere Person)
  • seelischer Apparat → Wege der Triebbefriedigung finden = Überleben
  • übergeordnete Konzepte:
    • Sexualtrieb = Libido: Zuwendung, Kontakt, Zärtlichkeit, Sexualität → Bindung
    • Aggressionstrieb = Destrudo: Verteidigung, Durchsetzung, Macht → Unterbrechung von Bindung
      • (gegen sich selbst gerichtet: Todestrieb = Thanatos)

Ich-Psychologie

  • Weiterentwicklung v.a. durch Anna Freud und Heinz Hartmann: Ich-Analyse → Fokus auf Ich-Leistungen, Abwehrmechanismen → Ziel: Autonomie des Patienten
  • basales "Ich-Erleben" = Identität = "Das bin ich"
  • Ziel: aus anfänglichen Ich-Kernen zunehmende ganzheitliche Erfahrung = Kern der Persönlichkeit
  • Selbstorganisation = Homöostase → Rhythmus aus Progression und Regression
  • v.a. intentional → Ausrichtung auf Objekte und objektbezogenes Handeln
  • autonome Ich-Funktionen → Selbst- und Beziehungsregulation
    • Wahrnehmung, Denken, Handeln, Sprache, Motorik, Gedächtnis
    • Impulssteuerung:
      • Untersteuerung → Impulsdurchbrüchhe (Fressanfall, aggressives Verhalten)
      • Übersteuerung → Rigidität, Zwanghaftigkeit, Kontrolle
    • Affektsteuerung: Frustrationstoleranz ↔ Überflutung durch negative Affekte
    • Regressionssteuerung → Flexibilität = Verfügbarkeit früherer Organisationsstufen (Regression im Dienste des Ich) → Spiel, Kreativität, Humor
    • Anpassungsleistung
    • Automatisierung/Verinnerlichung der permanenten Anpassungsleistung (Abwehr)
    • nicht aus Konflikten stammend, vom Triebapparat unabhängig
    • teilweise unbewusst → Aufwandsersparnis/Automatisierung oder Abwehr
  • Ich =
    • Entwicklung nicht aus dem Es, sondern aus Ich-Kernen (= Anlagen des Neugeborenen)
    • Träger des Bewusstseins
    • Vermittler zwischen Innen/Außen, zwischen Instanzen (synthetische Funktion, Abwehrfunktion)
    • Ort der Fantasien, Vorstellung, Affektwahrnehmung, Affektregulation, Symbolisierung
    • Ort der Prüfung/Bewältigung der Realität, Unterscheidung Realität/Fantasie
    • Ort der Selbstwahrnehmung und Selbstgefühl → psychische Repräsentanzen von Körperempfindungen
    • Ort der internalisierten Objektbeziehungen = Beziehungsrepräsentanzen → Beziehungserwartung/-verhalten (teilweise durch Abwehr unbewusst)

Selbstpsychologie

  • Weiterentwicklung von Heinz Kohut → Untersuchung der Entwicklung von Selbstobjekten
  • Ich = präreflexiv, intentional
  • Selbst = reflexiv → Mentalisierung, enthält andere Instanzen (Ich, Über-Ich, Bedürfnisse)
  • Narzissmustheorie/-behandlung:
    • "gesunder" Narzissmus = starkes, lebensfähiges Selbst, will Fähigkeiten erweitern/Bedürfnisse befriedigen
    • "pathologischer" Narzissmus = schwaches/"falsches" Selbst, Stabilisation durch Vortäuschung eigener Grandiosität → bei Misslingen → Depression
  • Heinz Kohut: Selbstentwicklung unabhängig von Trieb- und Ich-Entwicklung
  • erste Sinneseindrücke → Selbstvorstellungen → Selbstkern → Selbstwertgefühl
  • unreifes Selbst (Kind) → Unfähigkeit der Unterscheidung zwischen Selbst und Objekt (spiegelnde Mutter) ⇒ Mutter = Selbstobjekt
  • archaisches, grandioses Selbst → optimale Frustration → realistisches Selbst
  • optimale Frustration = erträgliche Konfrontation mit Differenz Wunsch/Wirklichkeit → stufenweise/dosiert durch Selbstobjekt
  • nicht optimal → Abspaltung von "traumatisierten" Selbstaspekten = Selbst-Fragmente = narzisstische Wunden → leichte Kränkbarkeit
  • primäres Ziel: nicht Triebbefriedigung, sondern Erhaltung eines stabilen Selbstgefühls
  • Aggression nicht angeborene Kraft, sondern Reaktion auf Kränkungen = Selbstwertdestabilisierungen
  • Selbst → permanent intrapsychisches Bewertung durch internalisierte Objekte
    • liebevolles Introjekt ↔ entwertendes Introjekt
    • Diskrepanz Real-Selbst ↔ Ideal-Selbst → narzisstische Kränkung
    • Selbstwert = Internalisierung des guten Objekts
  • Therapieziel:
    • nicht bewusst machen der verdrängten aggressiven Strebungen (→ Symptom)
    • sondern Verständnis der verdrängten Kränkungen (= narzisstische Verwundungen → Symptom)
  • Kritik:
    • starke Betonung der Umwelteinflüsse, große Verantwortung der Eltern
    • Verleugnung eigener Verantwortung bis zu Selbstmitleid

Objektbeziehungspsychologie

  • Paradigmenwechsel/Erweiterung der klassischen Triebtheorie → interpersonelle Wende (auch Selbstpsychologie)
    • orthodoxe Psychoanalyse: Objekt = Person/Gegenstand → Befriedigung einer Triebregung
    • Objektbeziehungstheorie: Objekt = reagierende Person → Emotion/Beziehung
  • Tendenz zur Aktualisierung früherer Objekterfahrungen
    • unbewusste Wiederherstellung alter Beziehungskonstellationen
    • in der Hoffnung "diesmal wird alles anders"
    • Gefühl von Vertrautheit, Sicherheit
  • Übertragung = Erleben einer aktuellen Beziehung unter dem Blickwinkel überdauernder Muster vergangener Beziehungserfahrungen
  • Hypothese: Patient stellt in der Therapie unbewusst ein zentrales Beziehungsmuster her, das dem Therapeut eine bestimmte Rolle zuweist
  • Ziel: neue Beziehungserfahrung in geschütztem Raum, sicherer Beziehung

britische Schule

  • Melanie Klein, William Fairbairn, Donald Winnicott, Michael Balint
  • innere Objekte:
    • DD Objektrepräsentanzen: internalisierte reale infantile Erfahrungen mit primären Bezugspersonen
    • Projektion angeborener Fantasien auf Objekt
    • positive/negative Affektbesetzung → innere Konflikte → Projektion nach außen
    • 2 Phasen:
      1. schizoid-paranoide Position: dualistische Triebtheorie (Libido/Aggressio bzw. Eros/Thanatos) → böse/gute Objektbilder (→ Spaltung, projektive Identifikation)
      2. depressive Position: Symbolisierung von Affekten → Überwindung der Spaltung
  • Winnicott:
    • Übergangsobjekte
    • "ausreichend gute Mutter"

amerikanische Schule

Trauma-Modell

  • von (Freud) entweder (reale Traumtisierung) - oder (Trieb-Abwehr-Konflikte)
  • zu sowohl - als auch
  • psychisches Trauma = Ereignis, das die Fähigkeit des Ichs überfodert
    • Integration von Wahrnehmungen/Gedanken/Gefühlen
    • Aufrechterhaltung von Selbstkohärenz
    • → Überflutung, überwältigende Angst, Hilflosigkeit, Ohnmacht
    • → Zusammenbruch innerer tragender Obejtkbeziehungen
  • sequentielle/kumulative Traumata

Abstinenzregel

  • Therapeut erfüllt nicht die unbewussten Wünsche (Übertragung/Gegenübertragung) des Patienten ("Ersatzbefriedigung")
  • "verpflichtet Analytiker und Analysand, ihre Beziehungsphantasien und -wünsche nicht im Handeln zum Ausdruck zu bringen."
  • Ziel:
    1. Schutz des therapeutischen Situation (und Schutz vor sexuellem Missbrauch)
    2. Frustration → libidinöse Energie → verbale Auseinandersetzung, Einsicht als Befriedigung(sersatz)
    3. fordert/fördert therapeutische Ich-Spaltung → erleben und beobachten gleichzeitig

Widerstand

  • Ausdruck psychischer Abwehr
  • Analyse des Widerstands und Analyse der Übertragung Kernelemente der Therapie

körperliche Beschwerden

  • Erklärungsmodelle psychosomatischer ("somatoformer") Beschwerden:
    • Affektkorrelate verdrängter Vorstellungen
    • triebpsychologisch: Konversion = Abwehr von Triebwünschen auf körperlicher Ebene
    • ich-psychologisch: Störung der Ich-Funtkionen
    • objekt-psychologisch: Umgang mit Körper = (Re-)Inszenierung von Beziehungsmustern (innere Objekte)
    • selbst-psychologisch: übermäßige Körperbesetzung (?)
  • Hypochondrie: Körper als Objekt
  • bei Pat. mit Identitätsdiffusion (BPS): Hypochondrie als Versuch, Selbstkohärenz herzustellen, auch SV ("Das Ich ist zunächst ein Körperliches")
  • therapeutische Methoden:
    • Containing: Selbstanteile des Patienten "aufbewahren" und später zurückgeben
    • Übergangsräume schaffen: psychischer Innenraum, Symbole
    • subtektive Krankheitstheorie: biographische Einbettung
    • Körpertherapie als Brücke, Gestaltungs-/Musiktherapie