Stress: Unterschied zwischen den Versionen
Aus psych-med
Daniel (Diskussion | Beiträge) |
Daniel (Diskussion | Beiträge) |
||
(14 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
* Stresskonzept = Konstruktion zur Überwindung des Leib-Seele-Dualismus bzw. Trennung Außen-/Innenwelt | |||
* Krankheit = Kontinuum, mangelnde Passung zwischen Organismus und Umwelt | |||
== Stressreaktion == | == Stressreaktion == | ||
* evolutionäre Anpassungsmöglichkeit des Körpers an Gefahrensituation | * evolutionäre Anpassungsmöglichkeit des Körpers an Gefahrensituation | ||
* Reaktion: Angriff, Flucht, Erstarrung | * Reaktion: Angriff, Flucht, Erstarrung | ||
* Walter Cannon (1915) "fight or flight" | * Walter Cannon (1915): '''Stress''' = Notfallreaktion des Organismus → "fight or flight" | ||
* Hans Selye (1936) "Allgemeines Anpassungssyndrom" bei chron. Belastung | * Hans Selye (1936) "Allgemeines Anpassungssyndrom" bei chron. Belastung | ||
* Shelley Taylor et al. (2000) "tend and befriend" (Frauen bzw. Schwangere und Mütter) | * Shelley Taylor et al. (2000) "tend and befriend" (Frauen bzw. Schwangere und Mütter) | ||
Zeile 13: | Zeile 16: | ||
* "Vater der Stressforschung" | * "Vater der Stressforschung" | ||
* entwickelte in den 1930er Jahren Grundlagen der Lehre vom Stress | * entwickelte in den 1930er Jahren Grundlagen der Lehre vom Stress (physiologisches Stressmodell) | ||
* nicht physikalische Belastung, sondern emotionale Bedeutung des Stressors | |||
* wichtig: Ausmaß der Kontrolle über Dauer/Intensität der belastenden Situation | |||
* "allgemeines Adaptationssyndrom" (Selye-Syndrom) → körperliche Folgen längerer Stresseinwirkung, 3 Stadien: | * "allgemeines Adaptationssyndrom" (Selye-Syndrom) → körperliche Folgen längerer Stresseinwirkung, 3 Stadien: | ||
*# '''Alarmreaktion''': | *# '''Alarmreaktion''': | ||
Zeile 28: | Zeile 33: | ||
*#* somatische Krankheiten: Magen-Darm-Krankheiten, Hautkrankheiten, Schlafstörungen, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Krankheiten | *#* somatische Krankheiten: Magen-Darm-Krankheiten, Hautkrankheiten, Schlafstörungen, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Krankheiten | ||
=== Richard Lazarus === | === transaktionales Stressmodell (Richard Lazarus) === | ||
* Stress = komplexe Wechselwirkungsprozesse zwischen Anforderungen der Situation und handelnder Person | * Stress = komplexe Wechselwirkungsprozesse zwischen Anforderungen der Situation und handelnder Person | ||
Zeile 43: | Zeile 48: | ||
*#* war hilfreich → Herabstufung der Bedrohung zur Herausforderung | *#* war hilfreich → Herabstufung der Bedrohung zur Herausforderung | ||
*#* hat nicht funktioniert → Heraufstufung der Herausforderung zur Bedrohung | *#* hat nicht funktioniert → Heraufstufung der Herausforderung zur Bedrohung | ||
* '''drei Arten des Copings''' (Stressbewältigung) | * '''drei Arten des Copings''' (Stressbewältigung): | ||
*# problemorientiert: auf Situation bezogen → Informationssuche, direkte Handlung → Anpassung | *# problemorientiert: auf Situation bezogen → Informationssuche, direkte Handlung → Anpassung | ||
*# emotionsorientiert: intrapsychisch → Versuch, die emotionale Erregung wieder abzubauen | *# emotionsorientiert: intrapsychisch → Versuch, die emotionale Erregung wieder abzubauen (auch dysfunktional, z.B. Verleugnung) | ||
*# bewertungsorientiert: kognitive Neubewertung (Umstrukturierung), z.B. Herausforderung statt Bedrohung → andere Ressourcen und Lösungsansätze | *# bewertungsorientiert: kognitive Neubewertung (Umstrukturierung), z.B. Herausforderung statt Bedrohung → andere Ressourcen und Lösungsansätze | ||
=== Allostase-Konzept === | |||
* Stress als Möglichkeit der Anpassung (psychisch/physisch) an sich verändernde Lebens- und Umweltbedingungen | |||
* zentrales Stressorgan = Gehirn (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse) → Problemanalyse und Antizipation | |||
* dauerhafte Aktivierung = "allostatische Last" → Krankheitsrisiko (psychisch, kardiovaskulär, muskuloskelettal, Stoffwechsel, Immunsystems) | |||
* DD Homöostase-Konzept → Aufrechterhaltung eines inneren Gleichgewichts (autonom) | |||
* DD Allostase-Konzept → zentrale Rolle des Gehirns (Antizipation, Bewertung) | |||
** kontrollierbarer Stress → Stabilisierung | |||
** kontrollierbarer Stress → Destabilisierung zentralnervöser Strukturen (Neurogenese-Regionen, v.a. Hippocampus) | |||
* stärkste Aktivierung: soziale Stressoren → Ausgrenzung, Herabsetzung (Beschämung, Erniedrigung) | |||
* → weltweiter Zusammenhang zwischen sozialer Situation und und Gesundheit | |||
* Konsequenz: Interventionen vor allem auf Gehirn gerichtet bzw. auf Veränderung sozialer Bedingungen (Beispiel Hypertonie: nicht Regulation des Salz-/Wasserhaushalts, sondern Gefühl von Kontrolle erhöhen → Downregulation der Stressreaktion) | |||
* Interventionen auf untergeordneter Ebene → kompensatorische Reaktion (durch ZNS gesteuert) | |||
=== Diathese-Stress-Modell === | |||
* auch Vulnerabilitäts-Stress-Modell | |||
** '''Diathese''' = Neigung zu Erkrankungen eines spezifischen Organsystems | |||
** '''Prädisposition''' = genetisch bedingte Anfälligkeit für die Ausbildung von Krankheiten | |||
** '''Disposition''' = organische/psychische/lebensgeschichtlich erworbene (aber nicht genetisch bedingte) Anfälligkeit für die Ausbildung von Krankheiten | |||
* Paradigma der klinischen Psychologie/Gesundheitspsychologie: Neigung eines Menschen, auf eine bestimmte Weise auf Belastungen zu reagieren | |||
* verbindet biologische, psychologische und Umweltfaktoren | |||
* Disposition + Stressoren - Resilienz (Risiko-/Schutzfaktoren) → Symptombildung, Krankheitsausbruch | |||
=== Anforderungs-Kontroll-Modell === | |||
* = Job-Demand-Control-Modell (Robert Karasek, USA) | |||
* Job Demands = Arbeitsanforderungen | |||
* Job Decision Latitude = Handlungs-/Entscheidungsspielraum/Autonomie am Arbeitsplatz | |||
* Hypothese: hohe Arbeitsanforderungen → starke Handlungsenergie/Motivations-Push | |||
* bei fehlender Autonomie → keine Handlung → Handlungsenergie als „mental strain“ → Stress | |||
=== Modell der beruflichen Gratifikationskrise (Siegrist) === | |||
* hohes Anforderungsprofil → extrinsische Verausgabung | |||
* hoher Leistungsanspruch → intrinsische Verausgabung | |||
* Distress: | |||
** Entscheidungsspielraum, Missverhältnis Einsatz/Belohnung, soziale isolierung | |||
** mangelnde Gratifikation: Geld, Anerkennung, Aufstieg | |||
=== Theorie der Ressourcenerhaltung === | |||
* Hypothese: Menschen wollen Ressourcen erhalten, vermehren, schützen | |||
* Ressourcen = | |||
** Objekte (Wohnung, Auto) | |||
** persönliche Merkmale (Kompetenzen, Fähigkeiten) | |||
** Bedingungen (sicherer Arbeitsplatz, Familie) | |||
** "Energien" (Geld, Zeit, Wissen) | |||
* Stress → Ressourcen gehen verloren oder Gewinn wird blockiert | |||
* 1. Grundprinzip: Verlust ist bedeutsamer als Gewinn | |||
* 2. Grundprinzip: man muss Ressurcen investieren, um sich vor Ressourcenverlust zu schützen oder neue zu gewinnen | |||
* → Verlustspirale | |||
== Regeneration == | |||
[[Kategorie:Grundlagen]] | [[Kategorie:Grundlagen]] |
Aktuelle Version vom 5. Mai 2017, 21:24 Uhr
- Stresskonzept = Konstruktion zur Überwindung des Leib-Seele-Dualismus bzw. Trennung Außen-/Innenwelt
- Krankheit = Kontinuum, mangelnde Passung zwischen Organismus und Umwelt
Stressreaktion
- evolutionäre Anpassungsmöglichkeit des Körpers an Gefahrensituation
- Reaktion: Angriff, Flucht, Erstarrung
- Walter Cannon (1915): Stress = Notfallreaktion des Organismus → "fight or flight"
- Hans Selye (1936) "Allgemeines Anpassungssyndrom" bei chron. Belastung
- Shelley Taylor et al. (2000) "tend and befriend" (Frauen bzw. Schwangere und Mütter)
- Richard Lazarus (1966, 1999): psychologischer Stress und Coping-Prozesse
Stressmodelle
Hans Selye
- "Vater der Stressforschung"
- entwickelte in den 1930er Jahren Grundlagen der Lehre vom Stress (physiologisches Stressmodell)
- nicht physikalische Belastung, sondern emotionale Bedeutung des Stressors
- wichtig: Ausmaß der Kontrolle über Dauer/Intensität der belastenden Situation
- "allgemeines Adaptationssyndrom" (Selye-Syndrom) → körperliche Folgen längerer Stresseinwirkung, 3 Stadien:
- Alarmreaktion:
- Katecholamine, ACTH → Glukokortikoide → Blutzucker↑, Proteinabbau↑, Proteinsynthese↓ → Entzündungsreaktionen↓
- Stresshormone → Aktivität↑, Leistungsbereitschaft↑ (kurzfristig)
- Widerstandsstadium:
- Somatotropin↑, Mineralocorticoide↑
- Versuch, Stressniveau zu reduzieren, Widerstand gegen Stress zu erhöhen; entzündliche Reaktionen wie Magengeschwüre
- Erschöpfungsstadium: bei dauerhaftem Stress Langzeitschäden
- körperlich: Schrumpfung der Thymusdrüse und der Lymphdrüsen; Magengeschwüre
- kognitiv: Verzerrung von Wahrnehmungen und Denkweisen
- emotional: Gereiztheit, Ängstlichkeit, Unsicherheit, Aggressivität
- vegetativ-hormonell: verminderte Leistungsfähigkeit, ineffizientes Verhalten, Überforderung, Erschöpfung, Erholungsfähigkeit reduziert
- somatische Krankheiten: Magen-Darm-Krankheiten, Hautkrankheiten, Schlafstörungen, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Krankheiten
- Alarmreaktion:
transaktionales Stressmodell (Richard Lazarus)
- Stress = komplexe Wechselwirkungsprozesse zwischen Anforderungen der Situation und handelnder Person
- entscheidend für Stressreaktion nicht objektive Beschaffenheit der Situation, sondern subjektive Bewertung
- → Stress abhängig von O-Variable → unterschiedliche Stressempfindlichkeit
- drei Stufen der Bewertung einer Situation:
- primäre Bewertung
- positiv
- irrelevant
- potenziell gefährlich/"stressend" → Abstufungen: bewältigbar/"Herausforderung", nicht bewältigbar/"Bedrohung", bereits verloren/"Schaden"
- sekundäre Bewertung: Ist die Situation mit den verfügbaren Ressourcen bewältigbar?
- Nein → Stressreaktion → Bewältigungsstrategie = Coping (Aggression, Flucht, Verhaltensalternativen, Änderung der Situation, Verleugnung der Situation)
- Neubewertung (nach dem Coping): Erfolg der Bewältigungsstrategie?
- war hilfreich → Herabstufung der Bedrohung zur Herausforderung
- hat nicht funktioniert → Heraufstufung der Herausforderung zur Bedrohung
- primäre Bewertung
- drei Arten des Copings (Stressbewältigung):
- problemorientiert: auf Situation bezogen → Informationssuche, direkte Handlung → Anpassung
- emotionsorientiert: intrapsychisch → Versuch, die emotionale Erregung wieder abzubauen (auch dysfunktional, z.B. Verleugnung)
- bewertungsorientiert: kognitive Neubewertung (Umstrukturierung), z.B. Herausforderung statt Bedrohung → andere Ressourcen und Lösungsansätze
Allostase-Konzept
- Stress als Möglichkeit der Anpassung (psychisch/physisch) an sich verändernde Lebens- und Umweltbedingungen
- zentrales Stressorgan = Gehirn (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse) → Problemanalyse und Antizipation
- dauerhafte Aktivierung = "allostatische Last" → Krankheitsrisiko (psychisch, kardiovaskulär, muskuloskelettal, Stoffwechsel, Immunsystems)
- DD Homöostase-Konzept → Aufrechterhaltung eines inneren Gleichgewichts (autonom)
- DD Allostase-Konzept → zentrale Rolle des Gehirns (Antizipation, Bewertung)
- kontrollierbarer Stress → Stabilisierung
- kontrollierbarer Stress → Destabilisierung zentralnervöser Strukturen (Neurogenese-Regionen, v.a. Hippocampus)
- stärkste Aktivierung: soziale Stressoren → Ausgrenzung, Herabsetzung (Beschämung, Erniedrigung)
- → weltweiter Zusammenhang zwischen sozialer Situation und und Gesundheit
- Konsequenz: Interventionen vor allem auf Gehirn gerichtet bzw. auf Veränderung sozialer Bedingungen (Beispiel Hypertonie: nicht Regulation des Salz-/Wasserhaushalts, sondern Gefühl von Kontrolle erhöhen → Downregulation der Stressreaktion)
- Interventionen auf untergeordneter Ebene → kompensatorische Reaktion (durch ZNS gesteuert)
Diathese-Stress-Modell
- auch Vulnerabilitäts-Stress-Modell
- Diathese = Neigung zu Erkrankungen eines spezifischen Organsystems
- Prädisposition = genetisch bedingte Anfälligkeit für die Ausbildung von Krankheiten
- Disposition = organische/psychische/lebensgeschichtlich erworbene (aber nicht genetisch bedingte) Anfälligkeit für die Ausbildung von Krankheiten
- Paradigma der klinischen Psychologie/Gesundheitspsychologie: Neigung eines Menschen, auf eine bestimmte Weise auf Belastungen zu reagieren
- verbindet biologische, psychologische und Umweltfaktoren
- Disposition + Stressoren - Resilienz (Risiko-/Schutzfaktoren) → Symptombildung, Krankheitsausbruch
Anforderungs-Kontroll-Modell
- = Job-Demand-Control-Modell (Robert Karasek, USA)
- Job Demands = Arbeitsanforderungen
- Job Decision Latitude = Handlungs-/Entscheidungsspielraum/Autonomie am Arbeitsplatz
- Hypothese: hohe Arbeitsanforderungen → starke Handlungsenergie/Motivations-Push
- bei fehlender Autonomie → keine Handlung → Handlungsenergie als „mental strain“ → Stress
Modell der beruflichen Gratifikationskrise (Siegrist)
- hohes Anforderungsprofil → extrinsische Verausgabung
- hoher Leistungsanspruch → intrinsische Verausgabung
- Distress:
- Entscheidungsspielraum, Missverhältnis Einsatz/Belohnung, soziale isolierung
- mangelnde Gratifikation: Geld, Anerkennung, Aufstieg
Theorie der Ressourcenerhaltung
- Hypothese: Menschen wollen Ressourcen erhalten, vermehren, schützen
- Ressourcen =
- Objekte (Wohnung, Auto)
- persönliche Merkmale (Kompetenzen, Fähigkeiten)
- Bedingungen (sicherer Arbeitsplatz, Familie)
- "Energien" (Geld, Zeit, Wissen)
- Stress → Ressourcen gehen verloren oder Gewinn wird blockiert
- 1. Grundprinzip: Verlust ist bedeutsamer als Gewinn
- 2. Grundprinzip: man muss Ressurcen investieren, um sich vor Ressourcenverlust zu schützen oder neue zu gewinnen
- → Verlustspirale