Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik

Aus psych-med

Grundlagen

  • Gründe für Entwicklung:
    • rein phänomenologische multiaxiale Klassifikationssysteme IDC und DSM
      • keine relevante Hilfestellung für Fall- und Behandlungskonzeption
      • keinen konzeptuellen Rahmen für Verständnis von Entwicklung, Dynamik und Veränderung des intrapsychischen Erlebens und interpersonellen Verhaltens
    • abstrakte Theoriebildung
    • mangelnde Übereinstimmung von Konstrukten → Reliabilität
  • Ziel:
    • klinisch relevantes Diagnostik- und Therapieplanungsinstrument auf mittlerem Abstraktionsniveau
      (zwischen purer Verhaltensbeobachtung und reiner Metapsychologie)
    • einheitliche, präzise Terminologie, schulenübergreifend
  • 1996 erste Version
  • 2006 revidierte Fassung OPD-2

Achsen

Achse I: Krankheitserleben

  • Welche Störungen/Probleme und Ressourcen liegen vor?
  • modular aufgebaut
  • Merkmalsausprägung jeweils 5-fach und "nicht beurteilbar"
  • Basismodul
    1. klinische Schwere der Störung (GAF: Global Assessment of Functioning; EQ-5D: Maß der Fähigkeit, alltägliche Aktivitäten zu verrichten)
    2. Dauer der Störung, Alter bei Erstmanifestation
    3. Krankheitserleben und -darstellung (Leidensdruck, auch körperliche und soziale Probleme)
    4. Krankheitskonzept (somatisch/psychisch/sozial)
    5. Veränderungskonzept (Interventionen auf somatisch/psychisch/sozialer Ebene)
    6. Veränderungsressourcen (persönlich und psychosozial)
    7. Veränderungshemmnisse (innere/äußere)
  • Psychotherapiemodul:
    1. Veränderungskonzept Symptomreduktion, reflektierend/motivklärend/konfliktorientiert, emotional-supportiv, aktiv-anleited
    2. Veränderungsressourcen: psychische Offenheit
    3. Veränderungshemmnisse: sekundärer Krnakheitsgewinn, aufrechterhaltende Bedingungen
  • forensisches Modul

Achse II: Beziehungsgestaltung

  • Wie interagiert der Patient mit anderen?
  • Erfassung repetitiver dysfunktionaler Beziehungsmuster
  • v.a. frühkindliche Interaktion mit Bezugspersonen
  • stereotype Verfestigung → Übertragungsmuster
  • Erfassung über berichtete Beziehungsepisoden und Übertraungs-/Gegenübertragungsgeschehen während Interview:
    1. Patient erlebt sich selbst anderen gegenüber
    2. Patient erlebt andere sich selbst gegenüber
    3. Therapeut (andere) erlebt Patient sich selbst gegenüber
    4. Therapeut (andere) erlebt sich selbst dem Patienten gegenüber
  • Rekonstruktion, wie der Patiente relevante Beziehungen erlebt und sich entsprechend anderen Personen gegenüber verhält (Gedanken, Gefühle, Intentionen, Verhaltensweisen)
  • Rekonstruktion, wie andere den Patiente erleben und sich entsprechend ihm gegenüber verhalten (abgeleitet aus Gegenübertragung)
  • → Hypothesen über typische, bewusste, beziehungsbezogene Erlebnisweisen/Handlungen (→ Übertragung)
  • → maladaptives Beziehungsmuster → beziehungsdynamischer Therapiefokus
  • zirkuläres maladaptives Ablaufschema:
Perspektive A: Erleben des Patienten
Patient erlebt sich immer wieder so, dass er (andere/n) ... Patient erlebt andere immer wieder so, dass sie (ihn/ihm) ...
Perspektive B: Erleben der anderen (Untersucher)
Andere erleben, dass Patient immer wieder (andere/n) ... Andere erleben sich gegenüber dem Patienten immer wieder so, dass sie (ihn/ihm) ...
  • objektivierende Beschreibung :
  • dimensionales Zirkumplexmodell interpersonellen Verhaltens:
    • zentriert auf Gegenüber (transitiv) - eigene Person (intransitiv) - Introjekt (intrapsychisch)
    • Achsen:
      • waagrecht Affiliation: Liebe/Verbundenheit - Aggression/Hass/Vernichtung
      • senkrecht Interdependenz: Abhängigkeit/Kontrolle - Autonomie/Freigabe
    • Verschiebung durch zu viel/zu wenig?

Achse III: Konfliktdynamik/-schemata

  • Welche Motive (Konflikte) bewegen den Patienten?
  • symptomatisch gewordene innere Konflikte = unbewusster neurotischer Konflikt
  • überdauernde dysfunktionale Motivationswidersprüche → Konfliktspannung
  • dysfunktionale Entweder-Oder-Lösungen, überkompensatorisch(aktiv-kontraphobisch) oder regressiv (passiv-vermeidend)
  • kosten "Abwehr-"Kraft und behindern dadurch Entwicklung und Zusammenleben
  • idealtypische Konflikte (prototypische Entwicklungsherausforderungen):
    1. Individuation vs. Abhängigkeit
    2. Unterwerfung v. Kontrolle
    3. Versorgung vs. Autarkie
    4. Selbstwertkonflikt
    5. Schuldkonflikt
    6. Ödipaler Konflikt
    7. Identitätskonflikt
  • Sonderfälle:
    • bei Annahme "abgewehrte Konflikt-/Gefühlswahrnehmung" nicht beurteilbar
    • bei geringem Strukturniveau kein stabiles Konfliktmuster, sondern Konfliktschemata
    • Aktualkonflikt (nicht repetitiv)
  • für jeden Konflikt idealtypischer aktiver/passiver Verarbeitungsmodus
  • bezogen auf Herkunftsfamilie, Partnerschaft, Beruf/Arbeitswelt, Besitz/Geld, soziale Gruppierung, Körper/Sexualität
  • Bedeutsamkeit je nach betroffenen Lebensbereichen auf 4er-Skala
  • Ergebnis: 2 Hauptkonflikte, für Hauptkonflikt Modus der Verarbeitung:
    (1) vorwiegend aktiv (2) gemischt (3) gemischt eher passiv (4) vorwiegend passiv (9) nicht beurteilbar

Achse IV: Struktur

  • Wie reguliert sich der Patient?
  • Struktur = funktionale Beziehung des Selbst zu den Objekten ("signifikante andere", real/phantasiert/vorgestellt)
  • Strukturniveau = Fähigkeit zur Regulation des Selbst und der Beziehungen zu inneren/äußeren Objekten
  • 4 Dimensionen:
  Bezug zum Selbst Bezug zum Objekt
1 Wahrnehmung Selbstbild/Identität, Affekte, Reflektion/Differenzierung Selbst-Objekt-Differenzierung: eigene/fremde Gedanken/Gefühle/Bedürfnisse unterscheiden können, ein realistisches Bild von anderen entwerfen können
2 Regulierung Impulse/Affekte steuern/integrieren/sich distanzieren können, Selbstwert, Umgang mit Kränkungen Beziehung vor eigenen Impulsen schützen (intrapsychsiche statt interpersonelle Abwehr), eigene/fremde Interessen berücksichtigen, Raaktionen antizipieren können
3 emotionale Kommunikation nach innen: Affekte generieren/erleben, Phantasie nutzen, Körperwahrnehmung/Körperselbst nach außen: eigene/fremde Affekte zulassen/erleben, Empathie, Reziprozität ("Wir-Gefühl")
4 Bindung Internalisierung: positive Selbst-/Objektrepräsentanzen/Affekte, positive Introjekte (sich beruhigen, trösten, helfen, schützen), variable Bindungen, unterschiedliche Objektqualitäten Bindungsfähigkeit (Dankbarkeit, Fürsorge, Schuld, Trauer), Hilfe annehmen (Unterstützung, SOrge, Versorgung, Entschuldigung), Bindungen lösen/Abschied nehmen können
5 Struktur gesamt

Achse V: Symptomatologie