Gestalttherapie: Unterschied zwischen den Versionen

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** Laura Perls → weicherer und integrativer "Ostküstenstil"
** Laura Perls → weicherer und integrativer "Ostküstenstil"
* phänomenologisch, erfahrungs- und erlebensorientiert
* phänomenologisch, erfahrungs- und erlebensorientiert
* Ziel: Stimmigkeit und Integration psychischer Prozesse, Reifung der Persönlichkeit nach innen und außen
* Ziel: Stimmigkeit und Integration psychischer Prozesse/(abgewehrter) Anteile, Reifung der Persönlichkeit nach innen und außen
* Gesundheit = guter innerer und äußerer Kontakt
* Entwicklung aus Psychoanalyse → Kritik und Abgrenzung
* Entwicklung aus Psychoanalyse → Kritik und Abgrenzung
* Merkmale/Ziele:
* Merkmale/Ziele:
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=== dialogisches Prinzip ===
=== dialogisches Prinzip ===


* existentielle Beziehungsphilosophie [[Martin Buber]]:
* existentielle Beziehungsphilosophie (Martin Buber):
*# Handeln aus Ich-Es-Haltung = sachlich, auf ein Objekt bezogen
*# Handeln aus Ich-Es-Haltung = sachlich, auf ein Objekt bezogen
*# Handeln aus '''Ich-Du-Haltung''' = Hinwendung auf gleicher Ebene, Wertschätzung der Einzigartigkeit, nicht zweckgerichtet  
*# Handeln aus '''Ich-Du-Haltung''' = Hinwendung auf gleicher Ebene, Wertschätzung der Einzigartigkeit, nicht zweckgerichtet  
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** '''Assimilation''': Neues aus der Umwelt → '''Kontakt'''grenze → Prüfung, "Zerstörung", brauchbare Umwandlung, Aufnahme in Eigenes (→ positive Aggression) = "Kauen"
** '''Assimilation''': Neues aus der Umwelt → '''Kontakt'''grenze → Prüfung, "Zerstörung", brauchbare Umwandlung, Aufnahme in Eigenes (→ positive Aggression) = "Kauen"
** '''Introjektion''':  Aufnahme von Neuem als Ganzes, ohne Prüfung/"Zerstörung"/Umwandlung → "'''Konfluenz'''" = Mangel an Bewusstheit für Kontaktgrenze und/oder mangelnde "Aggression" → Fremdkörper = Saugen + Schlucken
** '''Introjektion''':  Aufnahme von Neuem als Ganzes, ohne Prüfung/"Zerstörung"/Umwandlung → "'''Konfluenz'''" = Mangel an Bewusstheit für Kontaktgrenze und/oder mangelnde "Aggression" → Fremdkörper = Saugen + Schlucken
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Kontaktstörung[Bearbeiten]Ein Grundbegriff des Konzeptes ist der der „unabgeschlossenen Gestalt“, was bedeutet, dass der Anpassungsprozess des Organismus/der Psyche an die Umwelt (und umgekehrt) als Kontaktprozess aufgrund möglicher Störungen nicht vollständig geschehen konnte. Ergebnis ist eine Kontaktstörung. Damit konnte sich eine „vollständige (oder ‚geschlossene‘) Gestalt“ im Sinne einer abgeschlossenen Anpassungsleistung nicht ausbilden.
=== Kontaktstörung ===


Ursprünglich stammt der Begriff der „Gestalt“ aus der Gestaltpsychologie, einer Psychologie der Wahrnehmung. Fritz und Laura Perls wenden ihn aber auf den ganzen Organismus an und orientieren sich dabei vornehmlich an der Gestalttheorie des Neurologen Kurt Goldstein und seiner ganzheitlichen Theorie des Organismus. Schöne Beispiele für Anpassungsleistungen und somit Schließen von Gestalten finden sich in den Veröffentlichungen von Oliver Sacks.
* "unabgeschlossene Gestalt" → Anpassungsprozess (=Kontaktprozess zwischen Organismus/Psyche und Umwelt) unvollständig
* "geschlossene (=vollständige) Gestalt" =  abgeschlossene Anpassungsleistung


=== Ganzheit, Feld, Prozess ===


* Ganzheitlich =
** Einheit von Körper, Geist, Seele
** Verbindung mit Umwelt = "'''Organismus-Umwelt-Feld'''"
* "'''Kontaktgrenze'''" = Trennung und Verbindung
* Kontakt = Prozess des Austauschs, Assimilation, Wachstum → Bewegung, Handeln, Denken, Fühlen → Orientierung im Feld
* "Selbst" = Prozess = ""System der ständig neuen Kontakte"
* "Ich" = Teilfunktion des "Selbst" → Unterscheidung "zu mir gehörend" ↔ "fremd"


== Prinzipien ==


* '''dialogisch''': gemeinsame, authentische Arbeit an Themen, transparent, reflektiert
* '''feldtheoretisch''': Erforschung der Anpassungsprozesse an (Um)"Feld", Wechsel der Perspektive, Gewahrsein, bewusste Entscheidung, Suche nach inneren/äußeren Ressourcen
* '''phänomenologisch''': Aufgabe des Therapeuten → Achtsamkeit = Weglassen von Vorannahmen, Vermutungen, Erwartungen → Offenheit für Erfahrung im Hier und Jetzt; Beschreiben vor Interpretieren; möglichst alle Qualitäten erfassend
* '''existentialistisch''': eigene Verantwortung für Wahrnehmung der Welt, Bedeutungszuschreibung und Handlung


== Techniken ==


* fünf Typen:
*# '''Übungen''': bewusst hergestellte Situation zur allgemeinen Förderung der Wahrnehmung, Erleben und Handeln
*# '''Experimente''': ausprobieren und erforschen → konkrete Situation → Lernerfahrung
*# '''Hausaufgaben''': gemeinsam vereinbarte Experimente außerhalb der Therapie
*# '''Situationsbezogene Interventionen''': kurze, auf konkrete Situation bezogene Aussagen oder Fragen → persönlicher Resonanz/Reaktion des Therapeuten (→ dialogisch)
*# '''Medien und Modalitäten''': Wahrnehmung und Arbeit mit Sprache + Körper → Atmung, Stimme, Gestik/Mimik + Gegenständen ("'''leerer Stuhl'''")


[[Kategorie:Therapie]]
[[Kategorie:Therapie]]

Aktuelle Version vom 14. Dezember 2016, 14:00 Uhr

Grundlagen

  • Fritz und Laura Perls, Paul Goodmann
  • 1951 Hauptwerk "Gestalttherapie"
  • nach Trennung:
    • Fritz Perls → eher harter, oft konfrontativer "Westküstenstil"
    • Laura Perls → weicherer und integrativer "Ostküstenstil"
  • phänomenologisch, erfahrungs- und erlebensorientiert
  • Ziel: Stimmigkeit und Integration psychischer Prozesse/(abgewehrter) Anteile, Reifung der Persönlichkeit nach innen und außen
  • Gesundheit = guter innerer und äußerer Kontakt
  • Entwicklung aus Psychoanalyse → Kritik und Abgrenzung
  • Merkmale/Ziele:
    • Bewusstheit/Gewahrsein ("awareness") für alle gerade vorhandenen Gefühle, Gedanken, Empfindungen, Verhaltensweisen
    • Erkennen automatisierter/unbewusster Verhaltensmuster → Entscheidungsmöglichkeit
    • konkrete Arbeit an aktuellen Situationen und an der Beziehung zwischen Klient und Therapeut
    • Therapeut als partnerschaftlichen Begleiter → Techniken/Übungen gemeinsam entwickeln = Angebot
    • Ziele insgesamt und im Einzelfall immer transparent

Begriffe

Gestalt

  • = ein sinnvolles Ganzes, Sinn, Struktur, kohärente Gesamtheit
  • entsteht im Vordergrund vor einem Hintergrund (→ Gestaltpsychologie, Wahrnehmungspsychologie)
  • Wirklichkeit von vereinzelten Sinnesqualitäten/Einzelelemente wird verneint → Wahrnehmung nur als sinnvolle Ganzheiten = "Gestalten" möglich
  • Wahrnehmung, soziales Leben, Eigenexistenz → Ausdruck einer komplexen Sinngebung
  • "Das Ganze ist mehr/anders als die Summe seiner Einzelelemente"
  • Bedürfnis = offene Gestalt → taucht aus/vor Hintergrund auf → wird im Vordergrund zur Figur → muss geschlossen werden → taucht wieder in Hintergrund ein

Gewahrsein (awareness)

  • = Achtsamkeit
  • Ziel: Reaktivierung und Wahrnehmung emotionaler Bedürfnisse → Überwindung der Kontaktstörung
  • Prinzip des Hier-und-Jetzt: gegenwärtige Situation = Ort der Veränderung

dialogisches Prinzip

  • existentielle Beziehungsphilosophie (Martin Buber):
    1. Handeln aus Ich-Es-Haltung = sachlich, auf ein Objekt bezogen
    2. Handeln aus Ich-Du-Haltung = Hinwendung auf gleicher Ebene, Wertschätzung der Einzigartigkeit, nicht zweckgerichtet
  • letztere grundlegend für Gestalttherapie → hohes Maß an Authentizität/Wahrhaftigkeit

Kontaktfunktionen

  • Projektion
  • Introjektion
  • Retroflektion
  • Konfluenz: typisch → Dependenz, Konfliktvermeidung, Harmoniesucht
  • Deflektion
  • → Kontaktstörungen/-unterbrechungen, aber auch Problemlösungscharakter/Selbstregulation
  • DD
    • Assimilation: Neues aus der Umwelt → Kontaktgrenze → Prüfung, "Zerstörung", brauchbare Umwandlung, Aufnahme in Eigenes (→ positive Aggression) = "Kauen"
    • Introjektion: Aufnahme von Neuem als Ganzes, ohne Prüfung/"Zerstörung"/Umwandlung → "Konfluenz" = Mangel an Bewusstheit für Kontaktgrenze und/oder mangelnde "Aggression" → Fremdkörper = Saugen + Schlucken

Kontaktstörung

  • "unabgeschlossene Gestalt" → Anpassungsprozess (=Kontaktprozess zwischen Organismus/Psyche und Umwelt) unvollständig
  • "geschlossene (=vollständige) Gestalt" = abgeschlossene Anpassungsleistung

Ganzheit, Feld, Prozess

  • Ganzheitlich =
    • Einheit von Körper, Geist, Seele
    • Verbindung mit Umwelt = "Organismus-Umwelt-Feld"
  • "Kontaktgrenze" = Trennung und Verbindung
  • Kontakt = Prozess des Austauschs, Assimilation, Wachstum → Bewegung, Handeln, Denken, Fühlen → Orientierung im Feld
  • "Selbst" = Prozess = ""System der ständig neuen Kontakte"
  • "Ich" = Teilfunktion des "Selbst" → Unterscheidung "zu mir gehörend" ↔ "fremd"

Prinzipien

  • dialogisch: gemeinsame, authentische Arbeit an Themen, transparent, reflektiert
  • feldtheoretisch: Erforschung der Anpassungsprozesse an (Um)"Feld", Wechsel der Perspektive, Gewahrsein, bewusste Entscheidung, Suche nach inneren/äußeren Ressourcen
  • phänomenologisch: Aufgabe des Therapeuten → Achtsamkeit = Weglassen von Vorannahmen, Vermutungen, Erwartungen → Offenheit für Erfahrung im Hier und Jetzt; Beschreiben vor Interpretieren; möglichst alle Qualitäten erfassend
  • existentialistisch: eigene Verantwortung für Wahrnehmung der Welt, Bedeutungszuschreibung und Handlung

Techniken

  • fünf Typen:
    1. Übungen: bewusst hergestellte Situation zur allgemeinen Förderung der Wahrnehmung, Erleben und Handeln
    2. Experimente: ausprobieren und erforschen → konkrete Situation → Lernerfahrung
    3. Hausaufgaben: gemeinsam vereinbarte Experimente außerhalb der Therapie
    4. Situationsbezogene Interventionen: kurze, auf konkrete Situation bezogene Aussagen oder Fragen → persönlicher Resonanz/Reaktion des Therapeuten (→ dialogisch)
    5. Medien und Modalitäten: Wahrnehmung und Arbeit mit Sprache + Körper → Atmung, Stimme, Gestik/Mimik + Gegenständen ("leerer Stuhl")