Reizdarmsyndrom

Aus psych-med

= Irritable Bowel syndrome (IBS) → Neurogastroenterologie

Grundlagen

  • Prävalenz unklar, wohl so um die 2-3%
  • Frauen > Männer
  • teilweise spontan rückläufig, häufig chronisch
  • keine gesteigerte Koprävalenz mit anderen GI-Erkrankungen, aber mit somatoformen/psychischen Erkrankungen (z. B. Depression)

Diagnose

  • Kriterien nach aktueller S3-Leitlinie:
    1. chronische (> 3 Monate) GI-Beschwerden, die von Patient und Arzt auf den Darm bezogen werden, i.d.R. Stuhlgangsveränderungen
    2. Patient sucht deswegen Hilfe und/oder macht sich Sorgen, Lebensqualität relevant beeinträchtigt
    3. keine andere Ursache bekannt
  • Subtypen, jeweils ca. ⅓:
    • Diarrhö-dominant (RDS-D)
    • Obstipations-dominant (RDS-O)
    • gemischt bzw. alternierend (RDS-M)
  • Schweregrad: verschiedene Scores, aber kein Konsensus
  • ROM-III-Kriterien:
    • abdominelle Schmerzen oder Unwohlsein
    • innerhalb der letzten 12 Monate mindestens 12 Wochen
    • zwei der drei Kriterien:
      1. Linderung durch Stuhlgang
      2. Beginn der Schmerzen verbunden mit einer Veränderung der Stuhlhäufigkeit
      3. Beginn der Schmerzen verbunden mit einer Veränderung der Stuhlkonsistenz
  • Nebenkriterien:
    • abnorme Stuhlhäufigkeit (> 3/Tag, < 3/Woche)
    • abnorme Stuhlkonsistenz, schleimiger Stuhl
    • abnorme Defäkation (starkes Pressen, imperativer Stuhldrang, Gefühl der unvollständigen Entleerung)
    • Blähungen, Völlegefühl
  • ROM-IV-Kriterien (2016):
    • rezidivierende abdominelle Schmerzen, mind. 1 x/Woche über mind. 3 Monate
    • begleitet von mind. 2 Kriterien:
      1. in Verbindung mit Stuhlgang
      2. verbunden mit einer Veränderung der Stuhlhäufigkeit
      3. verbunden mit einer Veränderung der Stuhlkonsistenz
    • mind. seit 6 Monaten
  • Ausschluss struktureller/biochemischer Veränderungen
  • DD somatoforme autonome Störung des unteren GI-Traktes

"red flags"

  • weitere Diagnostik einleiten bei
    • Leitsymptom Durchfall
    • Fieber
    • Blut im Stuhl
    • Gewichtsverlust > 10 % bei unveränderter Nahrungszufuhr
    • nächtliche Symptome
    • Kolonkarzinom in der Familie
    • Erstmanifestation der Beschwerden nach dem 50. Lebensjahr
    • kurze (< 6–12 Monate) Anamnese und/oder progrediente Symptomatik
    • im Basislabor: Anämie, Entzündungszeichen

Untersuchungen/Differentialdiagnosen

  • obligat:
    • Anamnese (→ Bristol-Stuhlformen-Skala, siehe Weblinks)
    • Ausschluss DD
    • psychosoziales Screening → Depression, Angststörung, (Tendenz zu) Somatisierung (extraintestinale Beschwerden?)
    • körperl. Untersuchung inkl. rektale U.
    • Abdomen-Sono → RF, z.B. Pankreas
    • bei Frauen gyn. U.
    • Basislabor → Lebererkrankungen, hormonelle Störungen
  • erweiterte Diagnostik:
    • bei Diarrhoe:
      • Ileokoloskopie mit Biopsien → Kolonkarzinom, CED, Zöliakie
      • ÖGD → Magenkarzinomen und Magengeschwüren
      • H2-Atemtests → Laktoseintoleranz, Fruktosemalabsorption, Dünndarmfehlbesiedlung
      • Test auf eine Sorbitunverträglichkeit
      • Stuhl-Mikrobiologie
    • bei Obstipation:
      • Kolontransitzeit
      • Defäkographie
      • anorektale Manometrie
  • nicht empfohlen:
    • IgG auf Nahrungsmittelallergene
    • quantitative Parameter der Stuhlflora
    • Biomarker (fehlende Evidenz)
    • paramedizinische Verfahren (Kinesiologie etc.)

Pathophysiologie

  • Wechselspiel von
    • genetischer Prädisposition
    • Mikrobiom → bakterielle Fehlbesiedlung
    • Infektionen als Auslöser
    • Permeabilität der Darmwand
    • Immunaktivierung (Lymphozyten, Mastzellen, EC-Zellen)
    • neuronale Aktivierung
    • Motilität, Sekretion der Darmwand
    • viszerale Hypersensitivität/Hyperalgesie/Allodynie
    • psychischen Faktoren (z.B. erlerntes Krankheitsverhalten, akuter/chronischer Stress

Therapie

Basistherapie

  • Diagnosestellung, Information → Schutz vor unnötiger/schädlicher Diagnostik und Therapie
  • Ernst nehmen
  • Krankheitsmodell vorstellen
  • realistische Therapieziele formulieren
  • bei subjektiv nahrungsabhängigen Beschwerden:
    • Protokoll von Essen/Beschwerden
    • evtl. Eliminationsdiät → nach 4 Wochen wieder beenden, falls keine Effekt!

Medikation

  • keine Standardtherapie → jede Therapie "probatorisch" und symptomatisch
  • Dauer des Versuches vorab mit dem Patienten besprechen
  • bei fehlendem Ansprechen nach spätestens (!) 3 Monaten wieder absetzen
  • keine NSAR oder Opiate zur Schmerztherapie
  • nicht Pregabalin /Gabapentin
  • Rifaximin (500 mg 1-0-1 oder 200 mg 1-1-1) nur bei therapierefraktären Blähungen
Wirkstoff Evidenzgrad
Probiotika
DD Obstipation, Diarrhoe, Blähungen, Schmerz
1. Wahl: Flohsamenschalen
B/A
Phytotherapeutika B/A
Loperamid A
Entschäumer C
TZA bei Diarrhoe A
SSRI bei Obistipation/Schmerz B/A
Spasmolytika bei Schmerzen
Mebeverin, Butylscopolamin
A
Laxanzien vom Macrogoltyp B
Pfefferminzöl (Spasmolytikum) B
  • neue Entwicklungen: duale Wirkstoffe (Funktion/Schmerz)
    • Prucaloprid: 5-HT4-Rezeptoragonisten, prokinetisch
    • Linaclotid, Plecanatid: Guanylatcyclase-C-Agonisten, verdauungsfördernde und lokal schmerzlindernd
    • Asimadolin: peripher wirkender, selektiver κ-Opioid-Rezeptor (KOR)-Agonist, prokinetisch und schmerzreduzierend
    • Ibodutant: selektiver Neurokinin-2-(NK2)-Rezeptor-Antagonist, reduziert Motilität und Hypersensitivität
    • Elobixibat: partielle Hemmung des ilealen Gallensäure-Transporters (IBAT), Modulation des enterohepatischen Gallensäure-Kreislaufs

weitere Therapien

  • Vermeidung beenden!
  • Sport bzw. achtsames Bewegen (Tai Chi, QQui gong)
  • Ressourcen fokussieren und verstärken
  • häufig fluktuierender Verlauf → Placebo-Effekte berücksichtigen
  • systemische Aspekte (Stress)
  • Modell/Konzept vermitteln &rarr, biolog. Faktoren "echt"
  • Psychotherapie: Evidenzgrad A, v.a. Hypnotherapie
    • Trance = Zeit und Ort der Sicherheit, Erholung, Regeneration
    • Wachsuggestionen
  • schwache Evidenz:
    • Ernährungsumstellung:
      • individuell
      • Probiotika, Ballsststoffe
      • Eliminationsdiäten → Unverträglichkeiten abklären, zeitlich begrenzen
    • Yoga, autogenes Training, Tai-chi, Qigong
    • Heilfasten
    • Akupunktur: deutlicher Placeboeffekt
  • Stuhltransplantation:
    • bisher nur Kasuistiken
    • "Do it yourself" → Internet


Weblinks