Stress
Aus psych-med
- Stresskonzept = Konstruktion zur Überwindung des Leib-Seele-Dualismus bzw. Trennung Außen-/Innenwelt
- Krankheit = Kontinuum, mangelnde Passung zwischen Organismus und Umwelt
Stressreaktion
- evolutionäre Anpassungsmöglichkeit des Körpers an Gefahrensituation
- Reaktion: Angriff, Flucht, Erstarrung
- Walter Cannon (1915): Stress = Notfallreaktion des Organismus → "fight or flight"
- Hans Selye (1936) "Allgemeines Anpassungssyndrom" bei chron. Belastung
- Shelley Taylor et al. (2000) "tend and befriend" (Frauen bzw. Schwangere und Mütter)
- Richard Lazarus (1966, 1999): psychologischer Stress und Coping-Prozesse
Stressmodelle
Hans Selye
- "Vater der Stressforschung"
- entwickelte in den 1930er Jahren Grundlagen der Lehre vom Stress (physiologisches Stressmodell)
- nicht physikalische Belastung, sondern emotionale Bedeutung des Stressors
- wichtig: Ausmaß der Kontrolle über Dauer/Intensität der belastenden Situation
- "allgemeines Adaptationssyndrom" (Selye-Syndrom) → körperliche Folgen längerer Stresseinwirkung, 3 Stadien:
- Alarmreaktion:
- Katecholamine, ACTH → Glukokortikoide → Blutzucker↑, Proteinabbau↑, Proteinsynthese↓ → Entzündungsreaktionen↓
- Stresshormone → Aktivität↑, Leistungsbereitschaft↑ (kurzfristig)
- Widerstandsstadium:
- Somatotropin↑, Mineralocorticoide↑
- Versuch, Stressniveau zu reduzieren, Widerstand gegen Stress zu erhöhen; entzündliche Reaktionen wie Magengeschwüre
- Erschöpfungsstadium: bei dauerhaftem Stress Langzeitschäden
- körperlich: Schrumpfung der Thymusdrüse und der Lymphdrüsen; Magengeschwüre
- kognitiv: Verzerrung von Wahrnehmungen und Denkweisen
- emotional: Gereiztheit, Ängstlichkeit, Unsicherheit, Aggressivität
- vegetativ-hormonell: verminderte Leistungsfähigkeit, ineffizientes Verhalten, Überforderung, Erschöpfung, Erholungsfähigkeit reduziert
- somatische Krankheiten: Magen-Darm-Krankheiten, Hautkrankheiten, Schlafstörungen, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Krankheiten
- Alarmreaktion:
transaktionales Stressmodell (Richard Lazarus)
- Stress = komplexe Wechselwirkungsprozesse zwischen Anforderungen der Situation und handelnder Person
- entscheidend für Stressreaktion nicht objektive Beschaffenheit der Situation, sondern subjektive Bewertung
- → Stress abhängig von O-Variable → unterschiedliche Stressempfindlichkeit
- drei Stufen der Bewertung einer Situation:
- primäre Bewertung
- positiv
- irrelevant
- potenziell gefährlich/"stressend" → Abstufungen: bewältigbar/"Herausforderung", nicht bewältigbar/"Bedrohung", bereits verloren/"Schaden"
- sekundäre Bewertung: Ist die Situation mit den verfügbaren Ressourcen bewältigbar?
- Nein → Stressreaktion → Bewältigungsstrategie = Coping (Aggression, Flucht, Verhaltensalternativen, Änderung der Situation, Verleugnung der Situation)
- Neubewertung (nach dem Coping): Erfolg der Bewältigungsstrategie?
- war hilfreich → Herabstufung der Bedrohung zur Herausforderung
- hat nicht funktioniert → Heraufstufung der Herausforderung zur Bedrohung
- primäre Bewertung
- drei Arten des Copings (Stressbewältigung):
- problemorientiert: auf Situation bezogen → Informationssuche, direkte Handlung → Anpassung
- emotionsorientiert: intrapsychisch → Versuch, die emotionale Erregung wieder abzubauen (auch dysfunktional, z.B. Verleugnung)
- bewertungsorientiert: kognitive Neubewertung (Umstrukturierung), z.B. Herausforderung statt Bedrohung → andere Ressourcen und Lösungsansätze
Allostase-Konzept
- Stress als Möglichkeit der Anpassung (psychisch/physisch) an sich verändernde Lebens- und Umweltbedingungen
- zentrales Stressorgan = Gehirn (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse) → Problemanalyse und Antizipation
- dauerhafte Aktivierung = "allostatische Last" → Krankheitsrisiko (psychisch, kardiovaskulär, muskuloskelettal, Stoffwechsel, Immunsystems)
- DD Homöostase-Konzept → Aufrechterhaltung eines inneren Gleichgewichts (autonom)
- DD Allostase-Konzept → zentrale Rolle des Gehirns (Antizipation, Bewertung)
- kontrollierbarer Stress → Stabilisierung
- kontrollierbarer Stress → Destabilisierung zentralnervöser Strukturen (Neurogenese-Regionen, v.a. Hippocampus)
- stärkste Aktivierung: soziale Stressoren → Ausgrenzung, Herabsetzung (Beschämung, Erniedrigung)
- → weltweiter Zusammenhang zwischen sozialer Situation und und Gesundheit
- Konsequenz: Interventionen vor allem auf Gehirn gerichtet bzw. auf Veränderung sozialer Bedingungen (Beispiel Hypertonie: nicht Regulation des Salz-/Wasserhaushalts, sondern Gefühl von Kontrolle erhöhen → Downregulation der Stressreaktion)
- Interventionen auf untergeordneter Ebene → kompensatorische Reaktion (durch ZNS gesteuert)
Diathese-Stress-Modell
- auch Vulnerabilitäts-Stress-Modell
- Diathese = Neigung zu Erkrankungen eines spezifischen Organsystems
- Prädisposition = genetisch bedingte Anfälligkeit für die Ausbildung von Krankheiten
- Disposition = organische/psychische/lebensgeschichtlich erworbene (aber nicht genetisch bedingte) Anfälligkeit für die Ausbildung von Krankheiten
- Paradigma der klinischen Psychologie/Gesundheitspsychologie: Neigung eines Menschen, auf eine bestimmte Weise auf Belastungen zu reagieren
- verbindet biologische, psychologische und Umweltfaktoren
- Disposition + Stressoren - Resilienz (Risiko-/Schutzfaktoren) → Symptombildung, Krankheitsausbruch
Anforderungs-Kontroll-Modell
- = Job-Demand-Control-Modell (Robert Karasek, USA)
- Job Demands = Arbeitsanforderungen
- Job Decision Latitude = Handlungs-/Entscheidungsspielraum/Autonomie am Arbeitsplatz
- Hypothese: hohe Arbeitsanforderungen → starke Handlungsenergie/Motivations-Push
- bei fehlender Autonomie → keine Handlung → Handlungsenergie als „mental strain“ → Stress
Modell der beruflichen Gratifikationskrise (Siegrist)
- hohes Anforderungsprofil → extrinsische Verausgabung
- hoher Leistungsanspruch → intrinsische Verausgabung
- Distress:
- Entscheidungsspielraum, Missverhältnis Einsatz/Belohnung, soziale isolierung
- mangelnde Gratifikation: Geld, Anerkennung, Aufstieg
Theorie der Ressourcenerhaltung
- Hypothese: Menschen wollen Ressourcen erhalten, vermehren, schützen
- Ressourcen =
- Objekte (Wohnung, Auto)
- persönliche Merkmale (Kompetenzen, Fähigkeiten)
- Bedingungen (sicherer Arbeitsplatz, Familie)
- "Energien" (Geld, Zeit, Wissen)
- Stress → Ressourcen gehen verloren oder Gewinn wird blockiert
- 1. Grundprinzip: Verlust ist bedeutsamer als Gewinn
- 2. Grundprinzip: man muss Ressurcen investieren, um sich vor Ressourcenverlust zu schützen oder neue zu gewinnen
- → Verlustspirale