Zwangsstörungen: Unterschied zwischen den Versionen
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** Monotherapie nur, wenn KVT abgelehnt wird oder nicht durchgeführt werden kann (Schwere der Symptomatik, Verfügbarkeit), Ziel: Bereitschaft und Möglichtkeit für KVT | ** Monotherapie nur, wenn KVT abgelehnt wird oder nicht durchgeführt werden kann (Schwere der Symptomatik, Verfügbarkeit), Ziel: Bereitschaft und Möglichtkeit für KVT | ||
** SSRI: Fluoxetin, Fluvoxamin, Sertralin, Paroxetin, Citalopram (in D nicht zugelassen) gleich wirksam | ** SSRI: Fluoxetin, Fluvoxamin, Sertralin, Paroxetin, Citalopram (in D nicht zugelassen) gleich wirksam | ||
** in maximaler Dosierung einsetzen, auch zur Erhaltungstherapie | ** in maximaler Dosierung einsetzen, auch zur Erhaltungstherapie (Dosis-Wirkungs-Beziehung) | ||
** Clomipramin gleich wirksam, aber UAW↑ → nur zweite Wahl bei Nichtansprechen auf mind. 2 SSRI | ** Clomipramin gleich wirksam, aber UAW↑ → nur zweite Wahl bei Nichtansprechen auf mind. 2 SSRI | ||
** TZA, Mirtazapin, Buspiron, Benzodiazepine <u>nicht wirksam</u> | ** TZA, Mirtazapin, Buspiron, Benzodiazepine <u>nicht wirksam</u> | ||
** SNRI nur zweite Wahl (off label) | ** SNRI nur zweite Wahl (off label) | ||
** UAW beachten | ** UAW beachten | ||
** mindestens 12 Wochen | ** max. Wirkung nach 8-12 Wochen → mindestens 12 Wochen | ||
** bei mangelndem Ansprechen: Compliance, Dosis, Serumspiegel? | ** bei mangelndem Ansprechen: Compliance, Dosis, Serumspiegel? | ||
** Augmentation: | ** Augmentation: | ||
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**** bei Nicht-Ansprechen nach 6 Wochen wieder absetzen | **** bei Nicht-Ansprechen nach 6 Wochen wieder absetzen | ||
**** nicht zur Monotherapie | **** nicht zur Monotherapie | ||
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* Kombinationstherapie: | * Kombinationstherapie: | ||
** KVT + Psychopharmakotherapie | ** KVT + Psychopharmakotherapie | ||
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# '''Auslöser''' | |||
#* Situation oder willkürlich auftretender Gedanke | |||
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# '''Bewertung''' des Gedankens als extrem negativ, unerträglich, zwingend, realistisch | |||
#* Denkfehler: Katastrophendenken, Überschätzung der persönlichen Verantwortung, der Wahrscheinlichkeit des Auftretens (einer Katastrophe) | |||
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#* Dysfunktionale Schemata aktivieren '''Metakognitionen''': | #* Dysfunktionale Schemata aktivieren '''Metakognitionen''': | ||
#*# Thought-action fusion: "Wenn ich etwas denke, werde ich es auch tun." | #*# Thought-action fusion: "Wenn ich etwas denke, werde ich es auch tun." | ||
#*# Thought-event fusion: "Wenn ich etwas denke, wird es Realität." | #*# Thought-event fusion: "Wenn ich etwas denke, wird es Realität." | ||
#*# Thought-object fusion: Wenn ich etwas denke, wird es auf einen Gegenstand überspringen / er wird kontaminiert werden." | #*# Thought-object fusion: "Wenn ich etwas denke, wird es auf einen Gegenstand überspringen / er wird kontaminiert werden." | ||
# '''Emotionale Reaktion''' | # '''Emotionale Reaktion''': Unruhe, Erregung, Angst | ||
# '''Neutralisierung''': | |||
# '''Neutralisierung''' | #* Ausführung des eigentlichen Zwanges auf Handlungs- oder kognitiver Ebene | ||
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#* Funktion: Abwenden von der mit dem aufdringlichen Gedanken verbundenen Gefahr | #* Funktion: Abwenden von der mit dem aufdringlichen Gedanken verbundenen Gefahr | ||
# '''Rückkoppelungsprozess''' | # '''Rückkoppelungsprozess''': | ||
#* Neutralisierung | #* Neutralisierung | ||
#*# | #*# kurzfristig angstreduzierend → wirksam → '''negative Verstärkung''' des Zwangsrituals | ||
#*# verstärkt dysfunktionale Annahmen über Verantwortung | #*# verstärkt dysfunktionale Annahmen über Verantwortung | ||
#*# erhöht Bedeutsamkeit und damit Auftretenshäufigkeit der aufdringlichen Gedanken | #*# erhöht Bedeutsamkeit und damit Auftretenshäufigkeit der aufdringlichen Gedanken | ||
#* Unterdrückung der Gedanken | #* Unterdrückung der Gedanken | ||
#** | #** Beweis für Bedeutsamkeit → Auftretenshäufigkeit ↑ | ||
* '''Affektive Störungen''': verstärken dysfunktionalen Schemata → Relevanz/Frequenz↑ aufdringlicher Gedanken | |||
* Entscheidend im Modell sind die inadäquaten Bewertungsprozesse: | |||
** Wahrnehmung einer Bedrohung | |||
** Überschätzung der persönlichen Verantwortung | |||
* beide Überzeugungen interagieren miteinander und potenzieren sich in ihrer negativen Wirkung | |||
* '''Gefahr = Wahrscheinlichkeit x Konsequenzen''' | |||
=== Netzwerktheorie nach Foa et al. === | === Netzwerktheorie nach Foa et al. === | ||
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** verbale Zwänge: Wiederholung von Ausdrücken, Sätze, Melodien | ** verbale Zwänge: Wiederholung von Ausdrücken, Sätze, Melodien | ||
== | == Praktisches == | ||
* Zwangshierarchie = Angsthierarchie (Gedanken, Handlungen) | * Zwangshierarchie = Angsthierarchie (Gedanken, Handlungen) | ||
* Y-BOCS | * Verlaufsmessung: Y-BOCS, OCI-R | ||
* Vermeidungsverhalten | * Vermeidungsverhalten genau erfragen | ||
* Stichtagsregelung | * Stichtagsregelung | ||
[[Kategorie:Störungen]] | [[Kategorie:Störungen]] |
Version vom 14. Februar 2016, 18:56 Uhr
Leitlinie
- Diagnostischer Stufenplan
- Screening: 5 Fragen
- Waschen oder Putzen Sie sehr viel?
- Kontrollieren Sie sehr viel?
- Haben Sie quälende Gedanken, die Sie loswerden möchten, aber nicht können?
- Brauchen Sie für Alltagstätigkeiten sehr lange?
- Machen Sie sich Gedanken um Ordnung und Symmetrie?
- bei Verdacht: ICD-10-Zwangsstörung
- bei Hinweisen somatische Diagnostik
- Ausprägung, Verlaufsdiagnostik (z.B. Y-BOCS)
- Auswirkungen: Aktivität, Teilhabe, Lebensqualität, Beziehungen
- Fremdanamnese → Bezugspersonen
- bei Alter > 50 J. → hirnorganische Abklärung
- Screening: 5 Fragen
- Psychotherapie
- störungsspezifische KVT mit Exposition und Reaktionsmanagement
- alternativ ACT
- Einzel oder Gruppe
- Therapiedauer bis klinische Besserung (Y-BOCS-Reduktion > 50%)
- Exposition in Therapeutenbegleitung
- Ziel: Selbstmanagement → selbständige Expos
- idealerweise außerhalb der Praxis/Klinik, im häuslichen Umfeld
- Therapie über Internet/Telefon wirksam
- Bezugspersonen einbeziehen
- kein Wirksamkeitsnachweis für psychodynamische Therapie und andere Verfahren
- stationäre Therapie bei
- vitaler Gefährdung
- schwerer Vernachlässigung/Verwahrlosung
- Unmöglichkeit eines normalen Tagesablaufs und ambulanter Therapie
- starkem Leidensdruck, starker Beinträchtigung der psychosozialen Funktionsfähigkeit
- Versagen leitliniengerechter ambulanter Therapie
- erschwerender psychischer/somatischer Komorbidität
- Fehlen leitliniengerechter ambulanter Therapiemöglichkeit
- Rückfallprophylaxe: Booster-Sitzungen, Selbsthilfegruppen, ambulante Therapie
- Pharmakotherapie:
- Monotherapie nur, wenn KVT abgelehnt wird oder nicht durchgeführt werden kann (Schwere der Symptomatik, Verfügbarkeit), Ziel: Bereitschaft und Möglichtkeit für KVT
- SSRI: Fluoxetin, Fluvoxamin, Sertralin, Paroxetin, Citalopram (in D nicht zugelassen) gleich wirksam
- in maximaler Dosierung einsetzen, auch zur Erhaltungstherapie (Dosis-Wirkungs-Beziehung)
- Clomipramin gleich wirksam, aber UAW↑ → nur zweite Wahl bei Nichtansprechen auf mind. 2 SSRI
- TZA, Mirtazapin, Buspiron, Benzodiazepine nicht wirksam
- SNRI nur zweite Wahl (off label)
- UAW beachten
- max. Wirkung nach 8-12 Wochen → mindestens 12 Wochen
- bei mangelndem Ansprechen: Compliance, Dosis, Serumspiegel?
- Augmentation:
- Kombination SSRI/Clomipramin
- Lithium, Pindolol, Nortryptilin, Desipramin nicht wirksam
- Risperidon, Haloperidol oder Quetiapin (v.a. bei komorbider Tic-Störung)
- bei Nicht-Ansprechen nach 6 Wochen wieder absetzen
- nicht zur Monotherapie
- Rückfallquote nach Absetzen 80% → mind. 1-2 Jahre, Ausschleichen über mehrere Monate unter engmaschiger Beobachtung
- Kombinationstherapie:
- KVT + Psychopharmakotherapie
- besser wirksam
- schnellerer Wirkungseintritt
- bei komorbider Angststörung oder Depression
- wenn Monotherapie nicht ausreichend
- KVT + Psychopharmakotherapie
- andere Verfahren:
- TMS nicht wirksam
- EKT nicht wirksam
- tiefe Hirnstimulation:
- bei schwerstbetroffenen Patienten
- bei therapierefraktärer Zwangsstörung
- nur im Rahmen klinischer Studien
- Sonstige Empfehlungen:
- Aufklärung und Informationsvermittlung, auch von Bezugspersonen/Angehörigen
- neben Symptomreduktion auch Verbesserung des subjektiven Lebensqualität, Aktivität, Teilhabe, Beziehungen
- Shared decision making = Patient in Entscheidungen einbeziehen
- Ergotherapie möglich
Kognitiv-behaviorales Modell
nach Salkovski
- Auslöser
- Situation oder willkürlich auftretender Gedanke
- aufdringlicher/problematischer Gedanke
- Bewertung des Gedankens als extrem negativ, unerträglich, zwingend, realistisch
- Denkfehler: Katastrophendenken, Überschätzung der persönlichen Verantwortung, der Wahrscheinlichkeit des Auftretens (einer Katastrophe)
- Dysfunktionale Schemata aktivieren Metakognitionen:
- Thought-action fusion: "Wenn ich etwas denke, werde ich es auch tun."
- Thought-event fusion: "Wenn ich etwas denke, wird es Realität."
- Thought-object fusion: "Wenn ich etwas denke, wird es auf einen Gegenstand überspringen / er wird kontaminiert werden."
- Emotionale Reaktion: Unruhe, Erregung, Angst
- Neutralisierung:
- Ausführung des eigentlichen Zwanges auf Handlungs- oder kognitiver Ebene
- Funktion: Abwenden von der mit dem aufdringlichen Gedanken verbundenen Gefahr
- Rückkoppelungsprozess:
- Neutralisierung
- kurzfristig angstreduzierend → wirksam → negative Verstärkung des Zwangsrituals
- verstärkt dysfunktionale Annahmen über Verantwortung
- erhöht Bedeutsamkeit und damit Auftretenshäufigkeit der aufdringlichen Gedanken
- Unterdrückung der Gedanken
- Beweis für Bedeutsamkeit → Auftretenshäufigkeit ↑
- Neutralisierung
- Affektive Störungen: verstärken dysfunktionalen Schemata → Relevanz/Frequenz↑ aufdringlicher Gedanken
- Entscheidend im Modell sind die inadäquaten Bewertungsprozesse:
- Wahrnehmung einer Bedrohung
- Überschätzung der persönlichen Verantwortung
- beide Überzeugungen interagieren miteinander und potenzieren sich in ihrer negativen Wirkung
- Gefahr = Wahrscheinlichkeit x Konsequenzen
Netzwerktheorie nach Foa et al.
- Ergänzung zu kognitiven Modellen
- Fokus auf Struktur der Emotions- und Informationsverarbeitungsprozessen
- Ausgangspunkt: Emotionen werden in Form einer Netzwerkstruktur im Gedächtnis abgebildet
- Drei Arten von Infos, die über assoziative Verknüpfungen miteinander verbunden sind:
- Angstauslösende Stimulusbedingungen
- Verbale, physiologische und behaviorale Reaktionsmöglichkeiten
- Bedeutung dieser Reiz- und Reaktionselemente
- Angstnetzwerke sind im Vergleich zu normalen Gedächtnisstrukturen…
- …kohärent
- sehr verzweigte Netzwerke
- bereits minimale Info reicht aus, gesamte Struktur zu aktivieren und Angst auszulösen.
- …stabil
- korrektive Infos können schlecht integriert werden
- …irrational
- …kohärent
- Patienten weisen kognitive Beeinträchtigungen in vier Bereichen auf:
- Überschätzung der Wahrscheinlichkeit eines Schadens/Unglücks
- Überschätzung der Konsequenzen eines Schadens/einer Handlung
- Überschätzung der eigenen Verantwortung
- Überschätzung der Bedeutung der Zwangsgedanken
- Übertriebenes Sicherheit- und Kontrollbedürfnis
- Magisches Denken
Symptome
Zwangsgedanken
- inhaltliche Denkstörungen im Sinne sich zwanghaft immer wieder aufdrängender, jedoch als unsinnig erkannter Denkinhalte
- häufig auch formale Denkstörungen (Perseverationen, Gedankenkreisen/Gedankenarmut, überwertige Ideen)
- Zwangsideen/-befürchtungen/-vorstellungen: z.B. Befürchtung, etwas nicht richtig gemacht zu haben; Angst, dass dem Ehepartner etwas Schlimmes zustoßen könnte
- Zwangsimpulse: z.B. schädigende Handlungen gegen sich oder andere
- Grübelzwang: bestimmte Gedanken müssen wieder und wieder durchdacht werden ohne Möglichkeit, dabei zu einer Entscheidung oder zu einer Lösung zu kommen
- quälende Zweifel: Unsicherheit, Handlungen nicht zufrieden stellend abgeschlossen, etwas falsch verstanden, getan oder unterlassen zu haben
- häufige Themen:
- Schmutz/"Verseuchung" (Exkremente, Schmutz, Staub, Samen, Menstruationsblut, Keime, Infektionen)
- Gewalt/Aggression (körperlicher oder verbaler Angriff auf sich selbst oder andere Personen; Unfälle, Missgeschick, Krieg, Katastrophen, Tod)
- Ordnung (Ordentlichkeit, Symmetriebestrebungen usw.)
- Religion/Magie (Existenz Gottes, religiöse Praktiken und Rituale, Glaubenssätze, moralische Einstellungen)
- Sexualität (sexuelle Handlungen an sich oder anderen, inzestuöse Impulse, sexuelle Leistungsfähigkeit)
Zwangshandlungen
- Handlungsstereotypien
- Ich-dyston
- teilweise Zwangsritual
- Beispiele:
- Hygienezwang, z.B. Wasch-/Putzzwang
- Kontrollzwang: ständige Überprüfung von bestimmten Dingen, wie Herdplatten, Türschlösser, Lichtschalter, wichtige Papieren
- Ordnungszwang: Symmetrie, Ordnung, "Gleichgewicht" → Bücher, Kleidung, Nahrungsmittel nach strengen Regeln perfekt ordnen
- Berührzwang: Zwang, Dinge anzufassen/nicht anzufassen
- Zählzwang: Zwang, Dinge im Alltag zu zählen
- verbale Zwänge: Wiederholung von Ausdrücken, Sätze, Melodien
Praktisches
- Zwangshierarchie = Angsthierarchie (Gedanken, Handlungen)
- Verlaufsmessung: Y-BOCS, OCI-R
- Vermeidungsverhalten genau erfragen
- Stichtagsregelung