Narzisstische Persönlichkeitsstörung: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 10. Oktober 2016, 13:57 Uhr
Diagnose
- ICD-10: ICD-10-Persönlichkeitsstörung#narzisstische_PS
- Kritik: erfasst nur grandiose, nicht vulnerable Seite des Narzissmus
psychodynamisch
Freud
- primärer Narzissmus: notwendige Entwicklungsstufe des Übergangs vom Autoerotismus zur Objektliebe
- sekundärer Narzissmus: Rücknahme der libidinösen Objektbesetzung mit Fixierung
- Narzissmusbegriff:
- klinisch: sexuelle Perversion, eigener Körper als Sexualobjekt
- psychogenetisches Entwicklungsstadium
- Objektbeziehungen: Typ der Objektwahl und Beziehung zur Umwelt
- Regulation des Selbstwertgefühls
- Therapie:
- wegen mangelnder Onjektlibido fehlende Fähigkeit für Übetragungen
- Deutung der Triebabwehr, Distanzierung von infantilen Triebansprüchen
Kohut
- siehe Selbstpsychologie
- temporärer Verlust der Selbstkohärenz
- Mangel an aktueller Selbstobjekterfahrung (Selbstobjekt = subjektives Erleben eines Mitmenschen als Stütze unseres Selbst)
- Entwicklung:
- virtuelles Selbst = Vorstellungen/innere Bilder der Eltern über ihr Kind → primäre Begegnung mit dem Kind
- archaisches Selbst = Verschmelzungsbedürfnisse mit spiegelnden und idealisierten Selbstobjekten
unvermeidliche Versagung →- Größenselbst: "Ich bin perfekt"
- idealisiertes Elternimago: "Du bist perfekt" → Internalisierung: "Ich bin ein teil von Dir"
- reifes Selbst:
- infantile Omnipotenz → Realitätssinn
- infantile Grandiosität → reifes Selbstwertempfinden
- Therapie:
- Entwicklung von Selbstkohärenz
- Widerstandsdeutungen → Entwicklung von Selbstobjekt-Übertragungen
- Umgang mit Beziehungsabbrüchen
- Deutung des inneren Erlebens, Empathie
- aggressives Verhalten → Empathieversagen des Therapeuten
Kernberg
- Selbstwertstörung und Störung des Objektbeziehungen
- Unterscheidung:
- gesunder/normaler Narzissmus: libidinöse Besetzung einer gesunden Selbststruktur
- pathologischer Narzissmus: libidinöse Besetzung einer pathologischen Selbststruktur
- Abwehrstruktur gegen orale Aggression und frühe Spaltungen → pathologische Selbststruktur
- strukturelles Defizit: Realselbst = Idealselbst = Idealobjekt → Grandiosität
- Regression auf frühes Entwicklungsstadium mit unscharf getrennten Selbst-/Objektrepräsentanzen
- maligner Narzissmus: Form des path. N. mit antisozialem Verhalten, paranoide Haltung, ichsyntoner Sadismus
- Therapie:
- Pat. kann weder Abhängigkeit ertragen noch Dankbarkeit empfinden
- strikte Neutralität → Übertragungsdeutungen von Neid und Hass
- Entwicklung von Schuldgefühlen und Dankbarkeit → Rückgang an Spaltungen und negativer Übertragung, Integration von Selbst-/Objektrepräsentanzen
- Projektion des idealen Selbst → Umwandlung in gute Elternfigur
- Klarifikation, Konfrontation und Deutung im Hier und Jetzt
verhaltenstherapeutisch
Doppelte Selbstwertregulation
- grandioser Selbstanteil:
- unbeirrt, offen, dickhäutig
- hohe explizite Selbstwertschätzung (= positives Selbstschema): Selbstaufwertung bei Abwertung anderer, geringe Empathie, dominant-aggressives Interaktionsverhalten
- vulnerabler Selbstanteil:
- hypervigilant, verdeckt, dünnhäutig
- geringe implizite Selbstwertschätzung (= negatives Selbstschema) → Scham, Unsicherheit, Angst, Einsamkeit
- Selbstwertdiskrepanz ⇒ instabiler Selbstwert, dysfunktionale Strategien der Selbstwertstabilisierung, egozentrische Selbstaufwertung
- → dysfunktionale und maladaptive Strategie zur Befriedigung von Grundbedürfnisen, die in der Entwicklungsgeschichte mißachtet wurden
- → inkompatible emotionale Kernselbstanteile, im Mittelpunkt problematische Emotionen wie Scham, Minderwertigkeit, Hilflosigkeit, Angst
- → intensiv, durch Erfahrung nicht modifizierbar oder korrigierbar, undifferenziert
- → können nicht reguliert, sondern nur vermieden oder bekämpft werden
- → Aktivierung narzisstischer Schemata: Grandiosität, Perfektionismus, Illusion von Autonomie und Autarkie, Ärger, Aggressivität, Abwertung anderer
- Störung der selbstbezogenen Emotionsregulation
negative Selbstschemata
- das inkompetente Selbst (Scham, Hilfslosigkeit, Angst, Minderwertigkeit): erlebte Demütigung, Verletzung und Bloßtellung angesichts subjektiven oder objektiven Scheiterns oder Versagens
- das verlassene Selbst (Einsamkeit, innere Leere): ausgelöst durch Situationen der Betätigungs- bzw. Ereignislosigkeit, dem auf sich selbst zurückgeworfen sein oder der Erkenntnis, von anderen abhängig zu sein; dieser aversive Zustand wird oft durch kompensatorische Hyperaktivität, Hypersexualität sowie Suchtmittelgebrauch bekämpft bzw. vermieden
grandiose Selbstschemata
- dysfunktionale Bewältigungsstrategien (explizit hohes Selbstwertgefühl), um Aktivierung der negativen Selbstschemata zu vermeiden
- das grandiose Selbst (Euphorie, Stolz): Grandiosität, Überlegenheit, Arroganz und Besonderheit, verbunden mit Selbstidealisierung
- das gekränkte Selbst (Ärger, Wut, Neid): bei Ausbleiben von antizipierter Gratifikation - vor allem im Zusammenhang mit dem Nicht-Erreichen angestrebter Ziele oder ausbleibender Anerkennung, Bewunderung oder Versorgung - reagieren die Patienten mit den genannten Emotionen; häufig einhergehend mit Abwertung der eigenen Person oder anderer und Aggressivität
- das distanzierte Selbst (Gleichgültigkeit, Desinteresse): um sich gegen äußere und innere Stimuli zu wappnen, welche negative Selbstschemata aktivieren können, nimmt der Patient eine desinteressierte, scheinbar unbeteiligte Haltung ein
- bei Misslingen der Bewältigungsstrategien ⇒ depressive Einbrüche, Suizidalität, fremdaggressives Verhalten → bedeutende Rolle von Schamgefühlen
Therapie
- Strategien und Ziele:
- therapeutische Beziehungsgestaltung
- Einsicht in doppelte Selbstwertregulation → Funktionalität → Überlebensregel/Grundannahmen
- Emotionsregulation (Scham, Angst, Einsamkeit)
- Entdeckung/Akzeptanz/Befriedigung vermiedener Bedürfnisse (Kontakt, Zugehörigkeit, Ruhe/Entspannung, Kreativität)
- Interaktion/Beziehungsgestaltung → prosozial, selbstwertdienlich → Perspektivwechsel, Annahmen über andere Menschen, Verhaltensexperimente, Umgang mit Kritik und Misserfolg → GSK
- Diskrepanz zwischen Anspruch und Erfolg → realistisches Selbstbild und Ziele
- Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns und Lebens
- → größere Kongruenz zwischen Erleben, Bedürfnissen und Vorstellungen von sich selbst
- Beziehungsgestaltung:
- Übereinstimmung in Zielen und Aufgaben (Arbeitsbündnis)
- komplementäre Beziehungsgestaltung
- Kongruenz, Echtheit, Empathie
- persönliche Reaktion → emotionale Konsequenzen des Verhaltens beim Gegenüber (→ CBASP!)
- hohe Akzeptanz für selbstbewusste, eitle, dominante, ehrgeizige Menschen