Angststörungen
Aus psych-med
Grundlagen
- oft Komorbidität: Depression, Substanzmissbrauch
- 2-Faktoren-Modell nach Mowrer
- Aufschaukelungsprozess kognitive (Bewertung) und körperliche Symptome → Teufelskreis "Angst vor der Angst"
- Vulnerabilitäts-Stress-Modell
Klassifikation
Phobische Störungen | Merkmal | 12-Monats-Prävalenz |
---|---|---|
Panikstörung | plötzlich auftretend, starke körperliche Symptome, Angst zu sterben/verrückt zu werden, unabhängig von Situation/Auslöser | 3% |
Agoraphobie ohne/mit Panikstörung | Angst vor Orten, wo Flucht schwierig ist oder peinlich wäre; Begleitperson reduziert Angst | 3% |
Soziale Phobie | Angst vor Aufmerksamkeit, sich peinlich zu verhalten, negativ bewertet zu werden | 6% |
Spezifische Phobie | beschränkt auf einzelne Situation (Spinnen, Blut, Höhe, Enge) | 8% |
Generalisierte Angststörung | unterschwelliger Dauerzustand, ständige Sorgen, "Meta-Sorgen" | 3% |
Angst und Depression gemischt | möglichst nicht vergeben |
- Panikattacke: starke körperliche Symptome, plötzlich auftretend, klar abgrenzbar, Maximum innerhalb 10 min., Abklingen nach 30 min.
- Agoraphobie: wegen Vermeidung selten Panikattacken!
Diagnose
- siehe
- DSM-5: Panikstörung + Agoraphobie getrennt
- oft nicht erkannt, weil Präsentation von Körpersymptomen statt Angst → aktiv Screening-Fragen
Ebene | Symptome |
---|---|
emotional | hilflos, ängstlich |
Verhalten | Vermeidung, Flucht, Rückzug |
somatisch | Schwitzen, Herzrasen, Schwindel |
kognitiv | "Ich kippe um, ich werde verrückt, ich sterbe", Sorgen |
- somatische DD
- Lungenerkrankungen (Asthma)
- Herzerkrankungen (Angina pectoris, Arrhythmien)
- neurologische Erkrankungen (Anfallsleiden, verstibuläre Störung
- endokrine Störungen (Hyperthyreose, Phäochromozytom, Hypoglykämie)
- Substanzmissbrauch/Drogen
- somatische Diagnostik:
- Anamnese/Untersuchung
- BB, BZ, Ca, K, TSH
- EKG mit langem Streifen
- ggf. LuFu, cMRT, EEG
- therapeutische Diagnostik:
- Ängste → ACQ (Anxiety Cognition Quetionnaire)
- Symptome → BSQ (Body Symptoms Quetionnaire)
- Vermeidung → MI (Mobilitätsinventar)
- Komorbidität/Differentialdiagnose:
Realangst
- z.B. Progredienzangst bei chronischen Erkrankungen, reale Bedrohung bei PTSD
Blutphobie/Spritzenphobie
- typische biphasische autonome Reaktion auf:
- Sympathikus-Aktivierung → Hypertonie, Tachykardie
- Überreaktion des Parasympathikus → Hypotonie und Bradykardie → Synkope
- Therapie:
- applied tension = angewandte Anspannung → wiederholte Anspannung großer Muskelpartien
- besser: hinlegen
Therapie
- Ziel: Vertrauen in eigenen Körper und Emotionsregulation
- Psychoedukation: Komponenten der Angst und normale Prozesse, erwarteter vs. realistischer Angstverlauf
- Ziele initial divergierend:
- Patient: "Angst soll weg, weniger Angst"
- Therapeut: "Der Weg aus der Angst ist der Weg in die Angst"
- ⇒ Therapiemotivation → Veränderungsmotivation aufbauen (Konsequenzenanalyse, positive Ziele)
- Bedingungsanalyse
- Analyse und Unterlassen von Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten
- Makroebene: System/Familie/Beziehungen → Funktionalität, Angehörige einbeziehen
- ggf. DBT-Skills vor Exposition, CAVE PTSD
- Sport
- Rückfallprophylaxe: selbständige Expositionen ohne Therapeut, Umgang mit Rückfällen, Stichtagsregelungen
- Einbezug von Angehörigen: Funktionalität, Rückversicherung/Vermeidung
Konfrontationstherapie
- Setting: in sensu/in vivo, graduiert/massiert ("flooding"), kurz/verlängert, begleitet/alleine, Einzel/Gruppe
- Vorbereitung:
- medizinische Abklärung
- Was ist die zentrale Befürchtung?
- Wie vermeidet der Patient (Verhalten, kognitiv)
- Hintergrund (Auslöser, Aufrechterhaltung, Krankheitsmodell)
- Verhaltensexperimente/interozeptive Exposition/Provokationsübungen: Hyperventilation, Schwindelübungen, Gegenstand lange halten, körperliche Anstrengung
- therapeutenbegleitete Expositions-/Konfrontationstherapie mit Reaktionsverhinderung
- Verzicht auf Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten
- erlaubt: Atemtechniken (Vermeidung von Hyperventilation), Realitätstestung, positive Selbstinstruktion
- gemeinsam Befürchtungen verbalisieren → PFC ⇒ Amygdala ↓
- Wirkmechanismen:
- Habituation → Konfrontation bis Spannungsabfall notwendig
- Inhibitionslernen
- bei Angstpatienten Defizite bei der Löschung der Angstreaktion → verhindert Inhibition
- neue Erfahrung (in Exposition) stimulusspezifisch, schwer generalisierbar
- häufig "Spontanerholung", wenn keine Wiederholung der neuen Erfahrung
- hohe Rückfallgefahr
- Implikationen für Therapie:
- große Diskrepanz zwischen Befürchtung und Erfahrung → flooding, Wahrnehmen der Bewältigung, kognitive Techniken erst nach Exposition
- Generalisierung fördern → Wiederholung, unterschiedlicher Kontext, Variation der Stimuli, Analyse nach der Exposition
- Ausschleichen der Intensität → größere Zeitspannen, nicht nach Expo-Phase aufhören
- Abrufhilfen → Cave: neues Sicherheitsverhalten
- bei Angstpatienten Defizite bei der Löschung der Angstreaktion → verhindert Inhibition
Medikation
- in Eindosierungsphase häufig Verstärkung von Unruhe und Angstsymptomen → Aufklären, Durchhalten
- SSI/SNRI niedrige Dosis-Response-Kurve → 75% Ansprechen auf niedrige Initialdosis
- β-Blocker: kurzfristig bei Prüfungsangst
- bei Alpträumen: Doxazosin
- nach Remission Fortführung 6-12 Monate in gleicher Dosis
- Benzodiazepine nur in Ausnahmefällen, ansonsten kontraindiziert im ganzen Prozess, v.a. initial → verhindern Lerneffekt
Agoraphobie/Panikstörung
- 1. Wahl:
- SSRI: Citalopram, Escitalopram, Paroxetin, Sertralin
- SNRI: Venlafaxin
- 2. Wahl: Clomipramin (wenn SSRI/SNRI nicht wirksam/nicht vertragen)
generalisierte Angststörung
- 1. Wahl:
- SSRI: Escitalopram, Paroxetin
- SNRI: Duloxetin, Venlafaxin
- 2. Wahl: Pregabalin
- Alternativen: Buspiron, Opipramol
- nicht zugelassen, aber Wirksamkeitsnachweis: Imipramin, Quetiapin
soziale Phobie
- 1. Wahl:
- SSRI: Paroxetin, Sertralin, Escitalopram
- SNRI: Venlafaxin
- Alternativ: Moclobemid
Weblinks / Quellen
- http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-028.html Leitlinie Angststörungen
- "Panikstörung und Agoraphobie", Petra Kindermann, Marion Mühlberger, Ulrich Voderholzer; PSYCH up2date 2016; 10(02): 115-132
- Diagnostik und Therapie von Angsterkrankungen
- https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2022/may/22/my-life-was-ruled-by-panic-attacks-how-tim-clare-learned-to-cope-with-anxiety