Borderline-Persönlichkeitsstörung

Aus psych-med

Grundlagen

  • Prävalenz 1,5%
  • psychiatrische Patienten ambulant 10%, stationär 20%
  • m:w = 1:1
  • Beginn Adoleszenz, Maximum Mitte 20, anhaltend psychosoziale Defizite
  • 1/3 haben Suzidversuch hinter sich
  • hohe Achse-I-Komorbidität (Sucht, Alkohol, PTSD, Depression, Bulimie)
  • Störung der
    • Affekt- und Impulsregulation
    • Identität
    • sozialen Interaktion

Diagnose

  1. Starkes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden
  2. Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, Wechsel zwischen Idealisierung/Entwertung
  3. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung
  4. Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen, z.B. Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, Risikoverhalten
  5. Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen/-drohungen oder Selbstverletzendes Verhalten
  6. Affektive Instabilität, ausgeprägte Reaktivität der Stimmung, z.B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, gewöhnlich einige Stunden bis Tage
  7. Chronische Gefühle von Leere
  8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren, z.B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen
  9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome
  • Fragebögen:
    • SKID-II
    • BSL - Borderline-Symptomliste

Denkmuster

  • charakteristische dichotome Denkmuster, "Schwarz-Weiß-Denken"
  • wechselnde Idealisierung und Entwertung bestimmter Mitmenschen
  • Selbstbild zwischen Minderwertigkeit und Allmacht-Phantasien (respektive Größenwahn)
  • gleichzeitige Aktivierung widersprüchlicher Grundannahmen
  • projektive Identifikation: Abwehrmechanismus

Dissoziative Symptome

  • natürliche Reaktion auf extreme seelische Belastungen
  • unverarbeitbare Erlebnisse zeitlos „eingefroren“ von der Persönlichkeit abgetrennt, v.a. extreme Gefühle und Gedanken, teilweise autarke Persönlichkeitsanteile
  • Formen: Depersonalisation, Derealisation, Dämmerzustände, Denkstörungen, (Teil-)Amnesien, Hymnesien (negative Überflutungen), Zwangsgedanken, Kontrollverlust

Sozialverhalten

  • Problem der Nähe-/Distanz-Regulation → Angst vor Nähe ⇔ Angst vor dem Alleinsein
  • häufig wechselndes Sozialkontakten und/oder Sozialkreise
  • abnormes und/oder riskantes Sexualverhalten kommen, z. B. Wechsel von Anhedonie und Promiskuität
  • Manipulatives Verhalten, Bedürfnis, Beziehungen zu kontrollieren

Bindungstypen

  • unsicher-ambivalent: Beziehungssehnsucht/Verschmelzungswünsche ⇔ Gefühle von Einengung und Zwang (Wut, Ärger)
  • unsicher-desorganisiert: feindselig bestrafend oder tröstend fürsorglich → Beziehungskontrolle

Emotionalität

affektive Instabilität

  • extreme und labile Gefühlswelt → kurzwellige Stimmungsschwankungen und tiefe emotionale Krisen
  • niedrige Reizschwelle
  • quälende und diffuse Spannungszustände, teilweise auch als Gefühl von innerer Leere
  • durch die extreme Gefühlswelt hartnäckige Schlafstörungen

Impulskontrolle

  • v.a. selbstschädigendes, aber auch fremdschädigendes Verhalten sein → Versuch der Emotions-/Impulsunterdrückung

Emotionale Dynamik

  • v.a. Angst, Wut und Verzweiflung, außerdem Schuldgefühle und Depression (resp. Trauer, Leere, Resignation).
  • Dynamik von Macht und Ohnmacht:
    • Gefühlte Ohnmacht bzw. Hilflosigkeit → Verzweiflung
    • Macht → Kontrolle
  • Angst/Panik: Gefühl einer existenziellen Bedrohung (insbesondere der Ich-Struktur) → Hauptursache der Aggression
  • mögliche Folgen: Kontrollzwänge, Gewaltpotentiale und/oder krankhafter Ehrgeiz

Herstellung der Affektlosigkeit

  • Phasen völliger Affektlosigkeit: für die Mehrheit entlastend
  • spezifischer Mechanismus zur Angstabwehr neben der Umwandlung in Wut, dem Agieren (Angstkontrolle durch Selbst- und Fremdschädigung) und der Projektion
  • extreme Zustände (Selbstverletzung, schnelles Autofahren, exzessiver Drogenmissbrauch) → sich selbst spüren, Spannungen abzubauen, sich bestrafen, sich betäuben

Spezifische Ängste

  • Angst vor Nähe
  • Angst vor dem Alleinsein/Beziehungsverlust/Verlassenwerden
    • Angst vor Verlust eines sozialen Objekts
    • Angst vor Verlust der Liebe des Objekts
  • Angst vor Selbstverlust (Persönlichkeit, Identität, sich selbst)
  • Angst vor sich selbst: Kontrolle über eigene Phantasien, Bedürfnisse, problematische Gefühle zu verlieren
  • Angst vor struktureller Regression: den Ich-Status zu verlieren verlieren

Therapie

allgemeine Prinzipien

  • Klare Rahmenbedingungen und Therapievereinbarungen
  • Tragfähige therapeutische Beziehung: Probleme in der Beziehungsgestaltung und beim Aufrechterhalten von Beziehungen
  • Langfristig angelegte Behandlung: Tiefgreifende Problematik, viele Bereiche umfassend:
  • Klarer Behandlungsfokus und dynamische Hierarchie
  • Aktiver und strukturierender Ansatz: Neigung zu Krisen, erhebliche Widerstände, Identitätsdiffusion

Psychotherapie

Medikation

  • kein Medikament zugelassen!
  • SSRI: kein Effekt!
  • → Ziel: "nicht vergiften" :)
  • unbedingt vermeiden:
    • Benzodiazepine
    • Polypharmakotherapie
  • Atypika:
    • Aripiprazol: off label, initial bis ausreichendes Selbstmanagement erreicht
    • Olanzapin kontraindiziert → Suizidalität ↑
  • Mood stabilizer:
    • Lamotrigin, Topiramat, Valproat (teratogen) → Wirksamkeit unklar
  • Sedierung nur initial wirksam

Schwierigkeiten

  • qualifizierten Therapeuten finden, Ausbildung
  • Bereitschaft und Motivation zur Therapie
  • Kombination Einzel/Gruppentherapie ambulant kaum machbar
  • Sitzungsanzahl nach RL-PT nicht ausreichend