Borderline-Persönlichkeitsstörung
Aus psych-med
Grundlagen
- Prävalenz 1,5%
- psychiatrische Patienten ambulant 10%, stationär 20%
- m:w = 1:1
- Beginn Adoleszenz, Maximum Mitte 20, anhaltend psychosoziale Defizite
- 1/3 haben Suzidversuch hinter sich
- hohe Achse-I-Komorbidität (Sucht, Alkohol, PTSD, Depression, Bulimie)
- Störung der
- Affekt- und Impulsregulation
- Identität
- sozialen Interaktion
Diagnose
- ICD-10-Persönlichkeitsstörung#emotional-instabile PS
- DSM-IV: Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie deutliche Impulsivität
- Mindestens fünf der folgenden Kriterien:
- Starkes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden
- Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, Wechsel zwischen Idealisierung/Entwertung
- Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung
- Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen, z.B. Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, Risikoverhalten
- Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen/-drohungen oder Selbstverletzendes Verhalten
- Affektive Instabilität, ausgeprägte Reaktivität der Stimmung, z.B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, gewöhnlich einige Stunden bis Tage
- Chronische Gefühle von Leere
- Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren, z.B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen
- Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome
- Fragebögen:
- SKID-II
- BSL - Borderline-Symptomliste
Denkmuster
- charakteristische dichotome Denkmuster, "Schwarz-Weiß-Denken"
- wechselnde Idealisierung und Entwertung bestimmter Mitmenschen
- Selbstbild zwischen Minderwertigkeit und Allmacht-Phantasien (respektive Größenwahn)
- gleichzeitige Aktivierung widersprüchlicher Grundannahmen
- projektive Identifikation: Abwehrmechanismus
Dissoziative Symptome
- natürliche Reaktion auf extreme seelische Belastungen
- unverarbeitbare Erlebnisse zeitlos „eingefroren“ von der Persönlichkeit abgetrennt, v.a. extreme Gefühle und Gedanken, teilweise autarke Persönlichkeitsanteile
- Formen: Depersonalisation, Derealisation, Dämmerzustände, Denkstörungen, (Teil-)Amnesien, Hymnesien (negative Überflutungen), Zwangsgedanken, Kontrollverlust
Sozialverhalten
- Problem der Nähe-/Distanz-Regulation → Angst vor Nähe ⇔ Angst vor dem Alleinsein
- häufig wechselndes Sozialkontakten und/oder Sozialkreise
- abnormes und/oder riskantes Sexualverhalten kommen, z. B. Wechsel von Anhedonie und Promiskuität
- Manipulatives Verhalten, Bedürfnis, Beziehungen zu kontrollieren
Bindungstypen
- unsicher-ambivalent: Beziehungssehnsucht/Verschmelzungswünsche ⇔ Gefühle von Einengung und Zwang (Wut, Ärger)
- unsicher-desorganisiert: feindselig bestrafend oder tröstend fürsorglich → Beziehungskontrolle
Emotionalität
affektive Instabilität
- extreme und labile Gefühlswelt → kurzwellige Stimmungsschwankungen und tiefe emotionale Krisen
- niedrige Reizschwelle
- quälende und diffuse Spannungszustände, teilweise auch als Gefühl von innerer Leere
- durch die extreme Gefühlswelt hartnäckige Schlafstörungen
Impulskontrolle
- v.a. selbstschädigendes, aber auch fremdschädigendes Verhalten sein → Versuch der Emotions-/Impulsunterdrückung
Emotionale Dynamik
- v.a. Angst, Wut und Verzweiflung, außerdem Schuldgefühle und Depression (resp. Trauer, Leere, Resignation).
- Dynamik von Macht und Ohnmacht:
- Gefühlte Ohnmacht bzw. Hilflosigkeit → Verzweiflung
- Macht → Kontrolle
- Angst/Panik: Gefühl einer existenziellen Bedrohung (insbesondere der Ich-Struktur) → Hauptursache der Aggression
- mögliche Folgen: Kontrollzwänge, Gewaltpotentiale und/oder krankhafter Ehrgeiz
Herstellung der Affektlosigkeit
- Phasen völliger Affektlosigkeit: für die Mehrheit entlastend
- spezifischer Mechanismus zur Angstabwehr neben der Umwandlung in Wut, dem Agieren (Angstkontrolle durch Selbst- und Fremdschädigung) und der Projektion
- extreme Zustände (Selbstverletzung, schnelles Autofahren, exzessiver Drogenmissbrauch) → sich selbst spüren, Spannungen abzubauen, sich bestrafen, sich betäuben
Spezifische Ängste
- Angst vor Nähe
- Angst vor dem Alleinsein/Beziehungsverlust/Verlassenwerden
- Angst vor Verlust eines sozialen Objekts
- Angst vor Verlust der Liebe des Objekts
- Angst vor Selbstverlust (Persönlichkeit, Identität, sich selbst)
- Angst vor sich selbst: Kontrolle über eigene Phantasien, Bedürfnisse, problematische Gefühle zu verlieren
- Angst vor struktureller Regression: den Ich-Status zu verlieren verlieren
Therapie
allgemeine Prinzipien
- Klare Rahmenbedingungen und Therapievereinbarungen
- Tragfähige therapeutische Beziehung: Probleme in der Beziehungsgestaltung und beim Aufrechterhalten von Beziehungen
- Langfristig angelegte Behandlung: Tiefgreifende Problematik, viele Bereiche umfassend:
- Klarer Behandlungsfokus und dynamische Hierarchie
- Aktiver und strukturierender Ansatz: Neigung zu Krisen, erhebliche Widerstände, Identitätsdiffusion
Psychotherapie
- empirisch abgesichert:
Medikation
- kein Medikament zugelassen!
- SSRI: kein Effekt!
- → Ziel: "nicht vergiften" :)
- unbedingt vermeiden:
- Benzodiazepine
- Polypharmakotherapie
- Atypika:
- Aripiprazol: off label, initial bis ausreichendes Selbstmanagement erreicht
- Olanzapin kontraindiziert → Suizidalität ↑
- Mood stabilizer:
- Lamotrigin, Topiramat, Valproat (teratogen) → Wirksamkeit unklar
- Sedierung nur initial wirksam
Schwierigkeiten
- qualifizierten Therapeuten finden, Ausbildung
- Bereitschaft und Motivation zur Therapie
- Kombination Einzel/Gruppentherapie ambulant kaum machbar
- Sitzungsanzahl nach RL-PT nicht ausreichend