Anorexia nervosa
Aus psych-med
Epidemiologie
- Prävalenz 0,4%
- Ersterkrankungsalter 15-19 J., in den letzten Jahren sinkend (ab 11 J.)
- w : m = 10 : 1
- Mortalität 10%
- Verlauf i.d.R. über mehrere Jahre
- ca. 50% Heilung
- ca. 20% Chronifizierung
Ätiologie
- psychodynamisch:
- objekttheoretisch: Autonomie, Selbstwertregulation durch erfoglreiche Diäten
- triebtheoretisch: Verschiebung genital → oral; "ewige Tochter"
- familiendynamisch: maladaptive familiäre Muster
- soziokulturell: Schlankheitsideal, Druck in Peergroup
Symptome
- Untergewicht
- Körperschemastörung
- Angst vor Essen bzw. Gewichtszunahme
- Sport, vermehrter Bewegungsdrang
- hoher Leistunsganspruch
- hohes Schlankheitsideal
Diagnose
medizinische Komplikationen
- Hypokaliämie, Hypophosphatämie
- Bradykardie, Hypotonie
- Ödeme, Akrozyanose
- Haarausfall
- verzögerte Magenentleerung + Darmpassage, Bauchschmerzen
- Hypercholesterinämie, Leukopenie
- zerebrale Atrophie
- Hypogonadismus, primäre/sekundäre Amenorrhoe ⇒ Osteoporose, Zahnschäden
- Low-T3-Syndrom
- neuropsychologische Veränderungen
Therapie
- Grundlagen in allen Settings und Phasen:
- störungsorientiert und körperliche Aspekte einbeziehen
- Expertise erforderlich, störungsspezifische Therapieelemente
- frühzeitiger Therapieplan → Monate-Jahre!
- engmaschige Anbindung, Vernetzung der Beteiligten, Cave: Übergänge (v.a. stationär → ambulant)
- Gewichtsmonitoring: regelmäßige Gewichtskontrollen planen, besprechen, unter persönlicher Aufsicht durchführen
- Arbeit an Motivation und Ambivalenz
- Einbeziehung von Angehörigen/Sorgeberechtigten
- Ziele:
- Normalisierung des Körpergewichts (zunehmen + dann halten)
- Normalisierung des Essverhaltens
- Behandlung körperlicher Folgen
- Behandlung zugrundeliegender emotionaler, kognitiver, sozialer Probleme
- Förderung der sozialen Integration, Nachholen von Entwicklungsschritten
- Setting-Besonderheiten:
Hausarzt /Kinderarzt |
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ambulant |
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tagesklinisch |
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stationär |
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Beratungsstellen |
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Wohngruppen |
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Zwangsbehandlung
- bei hohem Gesundheitsrisiko und geringer Krankheitseinsicht: Einrichtung einer juristischen Betreuung
- bei vitaler Gefährdung → Unterbringung
- Zwangsernährung als Ultima ratio
- orale Ernährung unter Beobachtung
- Magensonde
- parenteral (nur im Notfall)
- bei Kindern/Jugendlichen: Eltern oder Jugendamt
Pharmakotherapie
- in der Regel keine Pharmakotherapie
- keine Evidenz für Neuroleptika, Antidepressiva oder Appetitstimulanzien
- Antidepressiva:
- auch bei komorbider Depression kritisch, da Studien negativ
- bei Untergewicht hohes Risiko für UAW
- Olanzapin (Zyprexa ®)
- off label, bei zwanghafter Denk-Einengung (Grübeln, Schuldgefühle) und exzessivem Bewegungsverhalten
- zeitlich begrenzt
Ernährungstherapie
- Energiebedarf:
- initial 30-40 kcal/kg KG
- Grundumsatz initial niedrig, bei Gewichtszunahme deutlicher Anstieg
- für Gewichtszunahme 100g/d → 800-1200 kcal/d zusätzlich erforderlich!
- Orientierung am Körpergewicht (Gewichtskurve), Cave: initial Wassereinlagerungen
- Elektrolyte:
- Hypokaliämie → EKG, ggf. Substitution
- Hyponatriämie → meist durch Hyperhidratation/Polydipsie → weniger Trinken!
- Hypophosphatämie → bei hochgradiger AN (refeeding Sndrom) → Substitution, wenn möglich oral
- Substitution von Vitaminen/Spurenelementen nicht regelhaft erforderlich
- Hypercholesterinämie häufig, Normalisierung nach Gewichtszunahme
- ggf. zusätzlich Trinknahrung
- Sondenernährung ggf. kurzzeitig
Begleitsymptome
- Purging-Verhalten:
- selbstinduziertes Erbrechen:
- Zahnstatus
- Elektrolyte
- Speicheldrüsen
- Laxantienabusus:
- Psychoedukation, Komplikationen
- nach Absetzen oft Obstipation → Ballaststoffe, regelmäßig essen!
- selbstinduziertes Erbrechen:
- exzessive körperliche Aktivität:
- Reduktion nach Energieaufnahme (Gewichtskurve!)
- angepasstes Bewegungsprogramm
- ggf. Bewegungsvertrag
Psychotherapie
- evidenzbasiert kein Therapieverfahren überlegen!
- neuere Ansätze:
- Internet-basierte Therapie
- spezifischer Fokus auf exzessivem Bewegungsverhalten
- achtsamkeitsbasierte Ansätze (Emotionsregulation)
Best practice SK
Wiegen und Zielgewicht |
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nasogastrale Magensonde |
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Gewichtsverträge |
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Essensbegleitung |
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Lehrküche | Einkaufen, Zubereiten, gemeinsam Essen (alle Essenssituationen) |
Transfer |
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Bewegungsmanagement |
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Gruppentherapieinhalte |
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Körperakzeptanz |
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Einbindung der Bezugspersonen |
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somatische Versorgung |
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Komplexstation
- 6 Betten ICU (Monitor + Video)
- engmaschige med. Betreuung und therap. Begleitung
- Indikation:
- BMI < 15
- med. Komplikationen
- starker Bewegungsdrang
- ausgeprägtes Erbrechen
- Insulin-Purging bei DM Typ I
- Trinkstörung
- Laxantienabusus, Medikamentenmissbrauch
- Zwangsverhalten
med. Probleme bei schwerer Anorexie
- hämatologisch: Knochenmark hypoplastisch
- Anämie: komp. Tachykardie
- Leukopenie: Infektneigung
- Stoffwechsel: HPA-Achse ↑ → kataboler Stoffwechsel
- Östrogen ↓, Cortisol ↑, fT3 ↓ Calcium/Vit. D ↓
- Körpertemperatur ↓
- Osteopenie/Osteoporose (25% der Erwachsenen) → Frakturgefahr (Bewegungsdrang)
- Autolyse
- Flüssigkeitsverschiebungen + Elektrolyte (Polydipsie/Flüssigkeits-Restriktion, Erbrechen)
- Hypokaliämie → EKG, Nephropathie/NI
- Hyponatriämie → SIADH, Pseudo-Bartter-Syndrom
- Niereninsuffizienz: Krea nicht aussagekräftig wegen Muskelmasse! → Clearance, Cystatin
- Bewegungsdrang → CK ↑↑ → Niereninsuffizienz
- Herz/Kreislauf:
- Hypotonie, Bradykardie, LV-Masse ↓, Perikardergüsse
- Akrozyanose, Raynaud-Syndrom, Nekrosen
- GI: Obstipation, Schmerzen → sympt. Therapie
Vorgehen
- rasche Wiederernährung, nicht gestuft → Richtmenge von Tag 1 (Energiezufuhr 2000 kcal/d)
- Cave Refeeding-Syndrom:
- v.a. bei parenteraler Ernährung
- Elektrolytverschiebung/-entgleisung, schneller Anstieg des Verbrauches → Thiaminmangel, Hypophosphatämie, Hypokaliämie
- starke Ödeme (bis 10 kg) → ggf. Aldosteron-Antagonist, verzögert aber Normalisierung der Nierenfunktion
- Rhabdomyolyse, Nierenversagen, Kreislaufprobleme
- med. Maßnahmen:
- tgl. BGA, Labor, BZ
- Thromboseprophylaxe
- wöchentlich Sono/UKG
- tgl. Wiegen und Bilanzierung
- Substitution: Phosphat, Kalium, Vitamin D, Thiamin
- Fluoxetin bei Brechdruck, Heißhungerattacken
- Olanzapin bei Bewegungsdrang und starker Grübelneigung/Zwangsgedanken (2,5 - 10 mg)
- therap. Maßnahmen:
- Essensbegleitung 1:1
- Verhindern von Erbrechen → Chill-out nach Essen, Kontrolle, Überwachung (Toilette, Zähneputzen, Video)
- Bewegungsdrang: Immobilisierung
- Therapieverträge + Kontingenzregeln → Kontrolle!
- kognitive Einengung → Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Konzentration, Rigidität
- CRT = Cognitive Remediation Therapy: jede Stunde 1 Aufgabe + Reflexion → flexibles Denken, metakogn. Fähigkeiten
- Phasen:
- Stabilisierung: med. Maßnahmen, Motivation/Entscheidung, Betreuung? Sonde? (ca. 3 Wochen)
- a) keine Therapien, Essen am Bett
- b) aufstehen, Essen in Lehrküche, erste Therapien
- Übergangsphase: ab BMI 11-13, mehr Therapien
- Intensivphase: ab BMI 15, keine KI, kogn. Funktionsfähigkeit