Posttraumatische Belastungsstörung: Unterschied zwischen den Versionen

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PTBS = PTSD (posttraumatic stress disorder)
== Grundlagen ==


== Traumatisierung ==
* PTBS = PTSD (posttraumatic stress disorder)
* spezifische Form einer '''[[Traumafolgestörung]]'''
* "normale Reaktion auf extreme/abnorme Situation"
* häufig Komorbidität
* häufig übersehen bei
** lange zurückliegender Traumatisierung (Kinder, Kriegserfahrungen)
** auffälliger Komorbidität
** unklaren Schmerzsyndromen
** misstrauischem, feindseligem oder emotionale-instabilem Verhalten
** bei med. Eingriffen, Diagnosen
* Neurobiologie:
** Amygdala ↑
** PFC ↓
** noradrenerge Reaktion ↑


* Bedrohung der eigenen körperlichen und psychischen Unversehrtheit oder der von anderen
=== Traumatisierung ===
* reale Gefahr für sich oder andere erlebt, beobachtet oder damt konfrontiert
 
* intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen
* Definition "Trauma"
** objektive Kriterien:
*** Bedrohung der eigenen körperlichen und psychischen Unversehrtheit oder der von anderen
*** reale Gefahr für sich oder andere erlebt, beobachtet oder damt konfrontiert
** subjektives Erleben:
*** intensive Furcht, Hilflosigkeit, Kontrollverlust oder Entsetzen
*** Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses
* Unterscheidung ("Schuld"): Mensch oder Umwelt
* Unterscheidung ("Schuld"): Mensch oder Umwelt
* größtes Risiko für PTBS:
* größtes Risiko für PTBS:
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== Verlauf ==
=== kognitiv-behaviorales Modell nach Ehlers/Clark ===
 
* '''Traumagedächtnis''':
*# ''ungenügende Elaboration'' = Einbettung in autobiographisches Gedächtnis:
*#* "Hier-und-Jetzt-Qualität" → gegenwärtige Bedrohung (extern, intern)
*#* erschwerter willentlicher Zugriff (lückenhaft, fragmentiert, disorganisiert)
*# ''starke assoziative Verknüpfungen'':
*#* "one trial learning"
*#* sensorische Wiedererinnerung (nicht kognitiv-verbal) → "Emotion ohne Erinnerung"
*# ''implizites Gedächtnis'':
*#* starkes Priming, schwierige Stimulusdiskrimination
*#* Reiz-Generalisierung → vielfältige Trigger (nur lose Assoziation), auch intern (Emotion, Körperwahrnehmung)
* '''dysfunktionale Interpretationen''':
** stark abhängig von Kognitionen während des Traumas:
** negativ: Sich-aufgeben, Verlust jeglicher Autonomie
** Schuldgefühle: für Ereignis/Ausgang verantwortlich
** Ärger: Ungerechtigkeit
** Scham: Regeln eigenen Verhaltens verletzt
** Trauer: Verlust
** Furcht: Übergeneralisierung
** negative Interpretation/Attribution des Ereignisses und seiner Folgen (Symptome, Konsequenzen, Reaktionen anderer) → intern, stabil, generell
* '''Vermeidung''' → verhindert Verarbeitung, Löschung, Neubewertung:
** kognitiv: Grübeln, negative Attributionen
** behavioral: Reizvermeidung, Sicherheitsverhalten, Alkohol/Medikamente, Dissoziation
** [[Konditionierung|2-Faktoren-Modell von Mowrer]]:
*** Trigger → klassische Konditionierung
*** Vermeidung → operante Konditionierung
 
=== Verlauf ===


* Trauma  
* Trauma  
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**** → komplexe PTBS, Persönlichkeitsveränderung
**** → komplexe PTBS, Persönlichkeitsveränderung
* Zahlen:  
* Zahlen:  
** 50% Remission nach 6 Monaten
** Prävalenz 1-2%
** 50% Remission nach 6 Monaten, 50% Chronifizierung
** verzögerter Beginn bei 10%
** sexueller Missbrauch: 7% bei Frauen, 1,4% bei Männern
** sexueller Missbrauch: 7% bei Frauen, 1,4% bei Männern
** hohe Dunkelziffer: nur 10-20% werden angezeigt
** hohe Dunkelziffer: nur 10-20% werden angezeigt
** BPS: 40-70% komplexe PTBS
** BPS: 40-70% komplexe PTBS
** chronische Depression: 60% frühes Trauma
** chronische Depression: 60% frühes Trauma
* Prävalenz:
** Lebenszeitprävalenz traumatischer Ereignisse: > 50%
** Lebenszeitprävalenz PTSD: w=10%, m=5% → bei Frauen höheres Risiko, PTSD zu entwickeln
** 50% nach Vergewaltigung und bei Kriegs-/Vertreibungs-/Folteropfern
** 25% nach Gewaltverbrechen
** 10% nach Verkehrsunfall oder schwerer Erkrankung (Herzinfarkt, Krebsdiagnose)


== Symptome ==
== Symptome ==


* Wiedererleben des Traumas: Intrusionen, Flashbacks, Alpträume, Geruchts-/Geschmacks-/Körpererinnerungen → Realitätsverlust
# '''Wiedererleben''' des Traumas: Intrusionen, Flashbacks, Alpträume, Geruchts-/Geschmacks-/Körpererinnerungen → Realitätsverlust
* dauerhafte Übererregung: Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen
# '''Vermeidungsverhalten''': alle mit Trauma assoziierten Stimuli (Männer, Sexualität, Dunkelheit, Orte, ...)
* Vermeidungsverhalten: alle mit Trauma assoziierten Stimuli (Männer, Sexualität, Dunkelheit, Orte, ...)
# dauerhafte '''Übererregung''': Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen
* emotionale Taubheit: innere Leere, Freud- und Interesselosigkeit
* emotionale Taubheit: innere Leere, Freud- und Interesselosigkeit
* chronische Suizidalität
* chronische Suizidalität
* Selbstwertverlust, Vertrauensverlust, Schuld- und Schamgefühle
* Selbstwertverlust, Vertrauensverlust, Schuld- und Schamgefühle
== Diagnose ==
* nach klinischen Kriterien: [[ICD-10-Posttraumatische Belastungsstörung]]
* strukturierte Erfassung:
** DIPS (Diagnostisches Interview bei Psychischen Störungen)
** SKID (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV)
** Impact of Event Scale
** PDS (Posttraumatic Stress Diagnostic Scale)
** PTCI (Posttraumatic Cognitions Inventory)
** Komorbidität: BDI, BAI
** Verlaufsmessung: NRS 0-100
**# "Wie belastet fühlen Sie sich, wenn Sie an das Ereignis und die Folgen denken?" = SUD (Subjective Units of Distress)
**# "Zu welchem Grad haben Sie sich mit dem Ereignis abgefunden?"


== komplexe PTSD ==
== komplexe PTSD ==


* DSM-IV, Anhang: Disorder of Extreme Stress Not Otherwise Specified (DESNOS)
siehe [[komplexe PTSD]]
*# Veränderungen in der Affekt- und Impulsregulation: Umgang mit Ärger, autodestruktives Verhalten, Suizidalität, Störungen der Sexualität, exzessives Risikoverhalten (→ [[Borderline-Persönlichkeitsstörung|BPS]]
II. Veränderungen in Aufmerksamkeit und Bewusstsein (Amnesien, zeitlich begrenzte dissoziative Episoden und Depersonalisationserleben)
III. Veränderungen der Selbstwahrnehmung (Ineffektivität, Stigmatisierung, Schuldgefühle, Schamhaftigkeit, Isolation und Bagatellisierung, Verlust des Selbstwertgefühls)
IV. Veränderungen in Beziehungen zu anderen (Unfähigkeit anderen Personen zu vertrauen, Reviktimisierung, Viktimisierung anderer Personen)
V. Somatisierung (Gastrointestinale Symptome, chronische Schmerzen, kardiopulmonale Symptome, Konversionssymptome, sexuelle Symptome)
VI. Veränderungen von Lebenseinstellungen (Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, Verlust früherer stützender Grundüberzeugungen)


== Therapie ==


* ICD-10: Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0)
* Ziel:
** kein "Ungeschehenmachen", sondern Integration in Biographie
** Symptomlinderung:
*** Wiedererleben → Kontrolle über Bilder
*** Kognitionen → hiflreiche/realistische Bewertungen
*** physiologisch → Reduktion der Anspannung/Erregung
** psychosoziale Intergation, Alltagsfähigkeit, Erwerbsfähigkeit


=== generelle Maßnahmen ===


== Therapie ==
* Herstellen einer '''sicheren Umgebung''' (Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung)
* Helfersystem organisieren
* Psychoedukation/Informationsvermittlung
* frühes Hinzuziehen eines mit PTBS erfahrenen Therapeuten
* '''Stabilisierung nach Bedarf''':
** therapeutische Beziehung
** engmaschige Anbindung
** Selbst-/Fremdgefährdung
** Affektregulation, Selbst-/Beziehungsmanagement, soziale Kompetenzen
** Symptomkontrolle
** Pharmakotherapie
** Cave Suchtmittelgebrauch (Benzodiazepine)
** zusätzlich Kunst-/Gestaltungs-/Ergo-/Körpertherapie
* '''Nicht machen''':
** nicht-traumaadaptierte Psychotherapie
** alleinige Pharmakotherapie
** Traumatherapie ohne Gesamtbehandlungsplan
 
=== [[KVT]] ===
 
* eher kurze Stabilisation: Kontrolle über Selbst-/Fremdgefährdung, Dissoziation, gute Anbindung
* Umgang mit '''Intrusionen und Flashbacks''':
** kurzfristig: Skills
** langfristig: Triggeranalyse, Reizdiskrimination ("damals und dort, hier und jetzt" → nicht real, "nur" Erinnerungen/Bilder/Gefühle)
* '''Konfrontationstherapie''': Modifikation des Traumagedächtnisses
** Exposition in sensu: Trauma im Bericht "wiedererleben" → Löschung der konditionierten Angstreaktion, Habituation, Integration
** KI: psychotisches Erleben, Suizidalität, SV, Täterkontakt mit bestehender Bedrohung, schwere Dissoziationsneigung
* '''Modifikation dysfunktionaler Überzeugungen'''/Schemata, z.B. von Schuldgefühle: Psychoedukation, (Illusion von) Kontrolle, Schutz des Selbstbildes oder von Beziehungen bzw. Bild von anderen → Denkfehler der Retrospektive; Schuldgefühle vs. Schuld
** "Sie haben überlebt, also offensichtlich das zum Überleben richtige getan"
* Abbau von '''Sicherheits-/Vermeidungsverhalten''': Exposition in vivo (Hierarchie, Alltagsrelevanz)
* '''Ressourcenstärkung'''
** z.B. Imaginationsübungen: Sicherer Ort, Tresorübung → Kontrolle über Bilder
** → wiederholen und üben, ggf. modifizieren; Symbol → Anker (→ Gestaltungstherapie)
* keine Entspannungs-, besser Achtsamkeitsübungen (Augen auf)
* '''Beziehungsgestaltung''': Woran erkenne ich eine gute/funktionierende Beziehung?
* '''psychosoziale Reintegration''':
** soziale Unterstützung (Finanzen, Wohnen, Beruf)
** Angehörige einbeziehen
** Opferhilfsorganisationen, Opferentschädigungsgesetz
** Auseinandersetzung mit Verlusten und Einbußen
** intrapsychische Neuorientierung
** Rückfallprophylaxe, Hilfe bei schwerer Belastung
** Zukunftsperspektiven
* '''Traumatherapie endet nicht mit der Traumabearbeitung!'''


=== Psychotherapie ===
=== weitere Therapieverfahren ===


* [[KVT]]
* [[Imagery Rescripting and Reprocessing Therapy]] (IRRT)
** Expositionen:
* [[EMDR]]  
*** über das Trauma sprechen
* [[Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie]] (PITT) nach Luise Reddemann
*** Abbau von Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten (Hierarchie, Alltagsrelevanz)
** Umgang mit Intrusionen und Flashbacks:
*** kurzfristig: Skills
*** langfristig: Triggeranalyse, Reizdiskrimination ("damals und dort, hier und jetzt" → nicht real, "nur" Erinnerungen/Bilder/Gefühle)
** Imaginationsübungen: Sicherer Ort, Tresorübung → Kontrolle über Bilder, Ressourcenstärkung → wiederholen und üben, ggf. modifizieren; Symbol → Anker (→ Gestaltungstherapie)
** keine Entspannungs-, besser Achtsamkeitsübungen (Augen auf)
** Abbau von Schuldgefühlen: Psychoedukation, (Illusion von) Kontrolle, Schutz des Selbstbildes oder von Beziehungen bzw. Bild von anderen → Denkfehler der Retrospektive; Schuldgefühle vs. Schuld
** Beziehungsgestaltung: Woran erkenne ich eine gute/funktionierende Beziehung?
* [[EMDR]]
* [[IRRT|Imagery Rescripting and Reprocessing Therapy]]
* [[PITT|Psychodynamisch Imaginative Trauma Therapie]] nach Luise Reddemann
* [[Hypnotherapie]]
* [[Hypnotherapie]]
* [[NET|Narrative Expositionstherapie]]
* [[Narrative Expositionstherapie]] (NET)
* [[Cognitive Processing Therapy]]


=== Medikamente ===
=== Pharmakotherapie ===


* in der Frühphase nach Traumatisierung
* in der Frühphase nach Traumatisierung
** keine Benzos → deutliche Prognoseverschlechterung
** keine Benzos → deutliche Prognoseverschlechterung
** Propranolol → möglicherweise hilfreich
** andere Pharmaka: Nutzen unklar
** andere Pharmaka: Nutzen unklar
* bei Vollbild PTSD:
* bei Vollbild PTSD:
** SSRi zugelassen (in D: Paroxetin), hochdosiert und lange
** SSRI zugelassen (in D: Paroxetin), hochdosiert und lange
** atypische Neuroleptika bei Therapieresistenz
** atypische Neuroleptika bei Therapieresistenz
** bei Alpträumen: Prazosin 2-10 mg (Cave: Kreislauf/Blutdruck)
** bei Alpträumen: Prazosin 2-10 mg (Cave: Kreislauf/Blutdruck)
== Quellen und Weblinks ==
* http://de.wikipedia.org/wiki/Posttraumatische_Belastungsst%C3%B6rung
* http://de.wikipedia.org/wiki/Komplexe_posttraumatische_Belastungsst%C3%B6rung
* Ehlers, A.: Posttraumatische Belastungsstörung, Hogrefe Verlag, 1999 (Fortschritte der Psychotherapie, Manuale für die Praxis, Band 8)
* Neudeck/Wittchen: Konfrontationstherapie bei psychischen Störungen, Hogrefe Verlag, 2005
* Leitlinien:
** http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-010.html (PTSD)
** http://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/051-027.html (Akute Folgen psychischer Traumatisierung - Diagnostik und Behandlung)
* http://www.trauma-fortbildung.de/ traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen
* https://www.ptbs-info-opferschutz.de/ PTBS und Opferschutz - rechtliche Aspekte


[[Kategorie:Störungen]]
[[Kategorie:Störungen]]

Aktuelle Version vom 8. Januar 2018, 10:02 Uhr

Grundlagen

  • PTBS = PTSD (posttraumatic stress disorder)
  • spezifische Form einer Traumafolgestörung
  • "normale Reaktion auf extreme/abnorme Situation"
  • häufig Komorbidität
  • häufig übersehen bei
    • lange zurückliegender Traumatisierung (Kinder, Kriegserfahrungen)
    • auffälliger Komorbidität
    • unklaren Schmerzsyndromen
    • misstrauischem, feindseligem oder emotionale-instabilem Verhalten
    • bei med. Eingriffen, Diagnosen
  • Neurobiologie:
    • Amygdala ↑
    • PFC ↓
    • noradrenerge Reaktion ↑

Traumatisierung

  • Definition "Trauma"
    • objektive Kriterien:
      • Bedrohung der eigenen körperlichen und psychischen Unversehrtheit oder der von anderen
      • reale Gefahr für sich oder andere erlebt, beobachtet oder damt konfrontiert
    • subjektives Erleben:
      • intensive Furcht, Hilflosigkeit, Kontrollverlust oder Entsetzen
      • Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses
  • Unterscheidung ("Schuld"): Mensch oder Umwelt
  • größtes Risiko für PTBS:
    • sexuelle Übergriffe
    • Krieg, Folter, Vertreibung
  • nicht zu vernachlässigen:
    • Mitteilung einer med. Diagnose (chron. oder tödliche Erkrankung, z.B. Krebs)
    • Aufenthalte auf Intensivstation
Typ Merkmale Beispiele Konsequenzen
Typ I einzelnes, unerwartetes Eriegnis von kurzer Dauer Vergewaltigung im Erwachsenenalter, schwerer Verkehrsunfall, Überfall, Naturkatastrophe meist kalre, lebendige Erinnerungen; Vollbild der PTSD; meist schnelle Remission, gute Prognose
Typ II Serie von verbundenen Ereignissen oder langandauerndes Ereignis wiederholte sexuelle/körperliche Gewalt in der Kindheit oder Partnerschaft, Geiselhaft, Kriegserfahrung oft diffuse, bruchstückhafte Erinnerungen; Dissoziationsneigung; dysfunktionale Grundüberzeugungen/Schemata; komplexe PTSD; schlechtere Prognose

kognitiv-behaviorales Modell nach Ehlers/Clark

  • Traumagedächtnis:
    1. ungenügende Elaboration = Einbettung in autobiographisches Gedächtnis:
      • "Hier-und-Jetzt-Qualität" → gegenwärtige Bedrohung (extern, intern)
      • erschwerter willentlicher Zugriff (lückenhaft, fragmentiert, disorganisiert)
    2. starke assoziative Verknüpfungen:
      • "one trial learning"
      • sensorische Wiedererinnerung (nicht kognitiv-verbal) → "Emotion ohne Erinnerung"
    3. implizites Gedächtnis:
      • starkes Priming, schwierige Stimulusdiskrimination
      • Reiz-Generalisierung → vielfältige Trigger (nur lose Assoziation), auch intern (Emotion, Körperwahrnehmung)
  • dysfunktionale Interpretationen:
    • stark abhängig von Kognitionen während des Traumas:
    • negativ: Sich-aufgeben, Verlust jeglicher Autonomie
    • Schuldgefühle: für Ereignis/Ausgang verantwortlich
    • Ärger: Ungerechtigkeit
    • Scham: Regeln eigenen Verhaltens verletzt
    • Trauer: Verlust
    • Furcht: Übergeneralisierung
    • negative Interpretation/Attribution des Ereignisses und seiner Folgen (Symptome, Konsequenzen, Reaktionen anderer) → intern, stabil, generell
  • Vermeidung → verhindert Verarbeitung, Löschung, Neubewertung:
    • kognitiv: Grübeln, negative Attributionen
    • behavioral: Reizvermeidung, Sicherheitsverhalten, Alkohol/Medikamente, Dissoziation
    • 2-Faktoren-Modell von Mowrer:
      • Trigger → klassische Konditionierung
      • Vermeidung → operante Konditionierung

Verlauf

  • Trauma
    • → Bewältigung
      • → Integration/Kompensation
    • → Anpassungsstörung
      • → Bewältigung → Integration/Kompensation
      • → Depression, Angst, Somatisierung, Sucht
    • akute Belastungsreaktion
      • → Bewältigung → Integration/Kompensation
      • → Depression, Angst, Somatisierung, Sucht
      • → PTBS
        • → komplexe PTBS, Persönlichkeitsveränderung
  • Zahlen:
    • Prävalenz 1-2%
    • 50% Remission nach 6 Monaten, 50% Chronifizierung
    • verzögerter Beginn bei 10%
    • sexueller Missbrauch: 7% bei Frauen, 1,4% bei Männern
    • hohe Dunkelziffer: nur 10-20% werden angezeigt
    • BPS: 40-70% komplexe PTBS
    • chronische Depression: 60% frühes Trauma
  • Prävalenz:
    • Lebenszeitprävalenz traumatischer Ereignisse: > 50%
    • Lebenszeitprävalenz PTSD: w=10%, m=5% → bei Frauen höheres Risiko, PTSD zu entwickeln
    • 50% nach Vergewaltigung und bei Kriegs-/Vertreibungs-/Folteropfern
    • 25% nach Gewaltverbrechen
    • 10% nach Verkehrsunfall oder schwerer Erkrankung (Herzinfarkt, Krebsdiagnose)

Symptome

  1. Wiedererleben des Traumas: Intrusionen, Flashbacks, Alpträume, Geruchts-/Geschmacks-/Körpererinnerungen → Realitätsverlust
  2. Vermeidungsverhalten: alle mit Trauma assoziierten Stimuli (Männer, Sexualität, Dunkelheit, Orte, ...)
  3. dauerhafte Übererregung: Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen
  • emotionale Taubheit: innere Leere, Freud- und Interesselosigkeit
  • chronische Suizidalität
  • Selbstwertverlust, Vertrauensverlust, Schuld- und Schamgefühle

Diagnose

  • nach klinischen Kriterien: ICD-10-Posttraumatische Belastungsstörung
  • strukturierte Erfassung:
    • DIPS (Diagnostisches Interview bei Psychischen Störungen)
    • SKID (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV)
    • Impact of Event Scale
    • PDS (Posttraumatic Stress Diagnostic Scale)
    • PTCI (Posttraumatic Cognitions Inventory)
    • Komorbidität: BDI, BAI
    • Verlaufsmessung: NRS 0-100
      1. "Wie belastet fühlen Sie sich, wenn Sie an das Ereignis und die Folgen denken?" = SUD (Subjective Units of Distress)
      2. "Zu welchem Grad haben Sie sich mit dem Ereignis abgefunden?"

komplexe PTSD

siehe komplexe PTSD

Therapie

  • Ziel:
    • kein "Ungeschehenmachen", sondern Integration in Biographie
    • Symptomlinderung:
      • Wiedererleben → Kontrolle über Bilder
      • Kognitionen → hiflreiche/realistische Bewertungen
      • physiologisch → Reduktion der Anspannung/Erregung
    • psychosoziale Intergation, Alltagsfähigkeit, Erwerbsfähigkeit

generelle Maßnahmen

  • Herstellen einer sicheren Umgebung (Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung)
  • Helfersystem organisieren
  • Psychoedukation/Informationsvermittlung
  • frühes Hinzuziehen eines mit PTBS erfahrenen Therapeuten
  • Stabilisierung nach Bedarf:
    • therapeutische Beziehung
    • engmaschige Anbindung
    • Selbst-/Fremdgefährdung
    • Affektregulation, Selbst-/Beziehungsmanagement, soziale Kompetenzen
    • Symptomkontrolle
    • Pharmakotherapie
    • Cave Suchtmittelgebrauch (Benzodiazepine)
    • zusätzlich Kunst-/Gestaltungs-/Ergo-/Körpertherapie
  • Nicht machen:
    • nicht-traumaadaptierte Psychotherapie
    • alleinige Pharmakotherapie
    • Traumatherapie ohne Gesamtbehandlungsplan

KVT

  • eher kurze Stabilisation: Kontrolle über Selbst-/Fremdgefährdung, Dissoziation, gute Anbindung
  • Umgang mit Intrusionen und Flashbacks:
    • kurzfristig: Skills
    • langfristig: Triggeranalyse, Reizdiskrimination ("damals und dort, hier und jetzt" → nicht real, "nur" Erinnerungen/Bilder/Gefühle)
  • Konfrontationstherapie: Modifikation des Traumagedächtnisses
    • Exposition in sensu: Trauma im Bericht "wiedererleben" → Löschung der konditionierten Angstreaktion, Habituation, Integration
    • KI: psychotisches Erleben, Suizidalität, SV, Täterkontakt mit bestehender Bedrohung, schwere Dissoziationsneigung
  • Modifikation dysfunktionaler Überzeugungen/Schemata, z.B. von Schuldgefühle: Psychoedukation, (Illusion von) Kontrolle, Schutz des Selbstbildes oder von Beziehungen bzw. Bild von anderen → Denkfehler der Retrospektive; Schuldgefühle vs. Schuld
    • "Sie haben überlebt, also offensichtlich das zum Überleben richtige getan"
  • Abbau von Sicherheits-/Vermeidungsverhalten: Exposition in vivo (Hierarchie, Alltagsrelevanz)
  • Ressourcenstärkung
    • z.B. Imaginationsübungen: Sicherer Ort, Tresorübung → Kontrolle über Bilder
    • → wiederholen und üben, ggf. modifizieren; Symbol → Anker (→ Gestaltungstherapie)
  • keine Entspannungs-, besser Achtsamkeitsübungen (Augen auf)
  • Beziehungsgestaltung: Woran erkenne ich eine gute/funktionierende Beziehung?
  • psychosoziale Reintegration:
    • soziale Unterstützung (Finanzen, Wohnen, Beruf)
    • Angehörige einbeziehen
    • Opferhilfsorganisationen, Opferentschädigungsgesetz
    • Auseinandersetzung mit Verlusten und Einbußen
    • intrapsychische Neuorientierung
    • Rückfallprophylaxe, Hilfe bei schwerer Belastung
    • Zukunftsperspektiven
  • Traumatherapie endet nicht mit der Traumabearbeitung!

weitere Therapieverfahren

Pharmakotherapie

  • in der Frühphase nach Traumatisierung
    • keine Benzos → deutliche Prognoseverschlechterung
    • Propranolol → möglicherweise hilfreich
    • andere Pharmaka: Nutzen unklar
  • bei Vollbild PTSD:
    • SSRI zugelassen (in D: Paroxetin), hochdosiert und lange
    • atypische Neuroleptika bei Therapieresistenz
    • bei Alpträumen: Prazosin 2-10 mg (Cave: Kreislauf/Blutdruck)

Quellen und Weblinks