Posttraumatische Belastungsstörung

Aus psych-med

Grundlagen

  • PTBS = PTSD (posttraumatic stress disorder)
  • spezifische Form einer Traumafolgestörung
  • andere Störungsbilder:
    • akute Belastungsreaktion: Stunden bis Tage, maximal 4 Wochen
    • Anpassungsstörung
    • andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung
    • komplexe Traumafolgestörung → bisher nicht in ICD/DSM
  • andere Traumafolgestörungen:
  • bei Kindern: Ängste, Regression
  • häufige Traumatisierung auch bei
  • häufig Komorbidität
  • häufig übersehen bei
    • lange zurückliegender Traumatisierung (Kinder, Kriegserfahrungen)
    • auffälliger Komorbidität
    • unklaren Schmerzsyndromen
    • misstrauischem, feindseligem oder emotionale-instabilem Verhalten
    • bei med. Eingriffen, Diagnosen

Traumatisierung

  • Bedrohung der eigenen körperlichen und psychischen Unversehrtheit oder der von anderen
  • reale Gefahr für sich oder andere erlebt, beobachtet oder damt konfrontiert
  • intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen
  • Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses
  • Unterscheidung ("Schuld"): Mensch oder Umwelt
  • größtes Risiko für PTBS:
    • sexuelle Übergriffe
    • Krieg, Folter, Vertreibung
  • nicht zu vernachlässigen:
    • Mitteilung einer med. Diagnose (chron. oder tödliche Erkrankung, z.B. Krebs)
    • Aufenthalte auf Intensivstation
Typ Merkmale Beispiele Konsequenzen
Typ I einzelnes, unerwartetes Eriegnis von kurzer Dauer Vergewaltigung im Erwachsenenalter, schwerer Verkehrsunfall, Überfall, Naturkatastrophe meist kalre, lebendige Erinnerungen; Vollbild der PTSD; meist schnelle Remission, gute Prognose
Typ II Serie von verbundenen Ereignissen oder langandauerndes Ereignis wiederholte sexuelle/körperliche Gewalt in der Kindheit oder Partnerschaft, Geiselhaft, Kriegserfahrung oft diffuse, bruchstückhafte Erinnerungen; Dissoziationsneigung; dysfunktionale Grundüberzeugungen/Schemata; komplexe PTSD; schlechtere Prognose

kognitiv-behaviorales Modell nach Ehlers/Clark

  • Traumagedächtnis:
    • "Hier-und-Jetzt-Qualität"
    • erschwerter willentlicher Zugriff (lückenhaft, fragmentiert, disorganisiert)
    • sensorische Wiedererinnerung (nicht kognitiv-verbal)
    • vielfältige Trigger (nur lose Assoziation)
    • implizites Gedächtnis: schwierige Stimulusdiskrimination
    • "one trial learning"
  • dysfunktionale Interpretationen:
    • Schuldgefühle: für Ereignis/Ausgang verantwortlich
    • Ärger: Ungerechtigkeit
    • Scham: Regeln eigenen Verhaltens verletzt
    • Trauer: Verlust
    • Furcht: Übergeneralisierung
  • Sicherheitsverhalten:
    • kognitive und behaviorale Vermeidung

Verlauf

  • Trauma
    • → Bewältigung
      • → Integration/Kompensation
    • → Anpassungsstörung
      • → Bewältigung → Integration/Kompensation
      • → Depression, Angst, Somatisierung, Sucht
    • akute Belastungsreaktion
      • → Bewältigung → Integration/Kompensation
      • → Depression, Angst, Somatisierung, Sucht
      • → PTBS
        • → komplexe PTBS, Persönlichkeitsveränderung
  • Zahlen:
    • 50% Remission nach 6 Monaten, 50% Chronifizierung
    • sexueller Missbrauch: 7% bei Frauen, 1,4% bei Männern
    • hohe Dunkelziffer: nur 10-20% werden angezeigt
    • BPS: 40-70% komplexe PTBS
    • chronische Depression: 60% frühes Trauma
  • Prävalenz:
    • 50% nach Vergewaltigung und bei Kriegs-/Vertreibungs-/Folteropfern
    • 25% nach Gewaltverbrechen
    • 10% nach Verkehrsunfall oder schwerer Erkrankung (Herzinfarkt, Krebsdiagnose)

Symptome

  • Wiedererleben des Traumas: Intrusionen, Flashbacks, Alpträume, Geruchts-/Geschmacks-/Körpererinnerungen → Realitätsverlust
  • dauerhafte Übererregung: Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen
  • Vermeidungsverhalten: alle mit Trauma assoziierten Stimuli (Männer, Sexualität, Dunkelheit, Orte, ...)
  • emotionale Taubheit: innere Leere, Freud- und Interesselosigkeit
  • chronische Suizidalität
  • Selbstwertverlust, Vertrauensverlust, Schuld- und Schamgefühle

Diagnose

komplexe PTSD

  • DSM-IV, Anhang: Disorder of Extreme Stress Not Otherwise Specified (DESNOS)
    1. Veränderungen in der Affekt- und Impulsregulation: Umgang mit Wut, autodestruktives Verhalten, Suizidalität, Störungen der Sexualität, exzessives Risikoverhalten (→ BPS)
    2. Veränderungen in Aufmerksamkeit und Bewusstsein: Amnesien, Dissoziation, Depersonalisation
    3. Veränderungen der Selbstwahrnehmung: Insuffizienzgefühle/Verlust des Selbstwertgefühls, Stigmatisierung, Scham-/Schuldgefühle, Isolation, Bagatellisierung
    4. Veränderungen in Beziehungen: Unfähigkeit zu vertrauen, Reviktimisierung, Viktimisierung anderer Personen
    5. Somatisierung: gastrointestinal, kardial, chronische Schmerzen, Konversionssymptome, sexuelle Symptome
    6. Veränderungen von Lebenseinstellungen: Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Verlust früherer stützender Grundüberzeugungen
  • ICD-10: Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0)
    • feindliche oder misstrauische Haltung
    • sozialer Rückzug
    • Gefühl von Leere und Hoffnungslosigkeit (→ dependetes Verhalten, Vermeidung aversiver/aggressiver Emotionen, depressive Symptomatik)
    • Gefühl von Nervosität oder Bedrohung (→ Gereiztheit, Substanzmißbrauch
    • Gefühl der Entfremdung, emotionale Betäubung

Therapie

generelle Maßnahmen

  • Herstellen einer sicheren Umgebung (Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung)
  • Helfersystem organisieren
  • Psychoedukation/Informationsvermittlung
  • frühes Hinzuziehen eines mit PTBS erfahrenen Therapeuten
  • Stabilisierung nach Bedarf:
    • therapeutische Beziehung
    • engmaschige Anbindung
    • Selbst-/Fremdgefährdung
    • Affektregulation, Selbst-/Beziehungsmanagement, soziale Kompetenzen
    • Symptomkontrolle
    • Pharmakotherapie
    • Cave Suchtmittelgebrauch (Benzodiazepine)
    • zusätzlich Kunst-/Gestaltungs-/Ergo-/Körpertherapie
  • Nicht machen:
    • nicht-traumaadaptierte Psychotherapie
    • alleinige Pharmakotherapie
    • Traumatherapie ohne Gesamtbehandlungsplan

KVT

  • eher kurze Stabilisation: Kontrolle über Selbst-/Fremdgefährdung, Dissoziation, gute Anbindung
  • Modifikation des Traumagedächtnisses: Konfrontationstherapie
    • Exposition in sensu: Trauma im Bericht "wiedererleben"
      Löschung der konditionierten Angstreaktion, Habituation, Integration
    • KI: psychotisches Erleben, Suizidalität, SV, Täterkontakt mit bestehender Bedrohung, schwere Dissoziationsneigung
  • Umgang mit Intrusionen und Flashbacks:
    • kurzfristig: Skills
    • langfristig: Triggeranalyse, Reizdiskrimination ("damals und dort, hier und jetzt" → nicht real, "nur" Erinnerungen/Bilder/Gefühle)
  • Ressourcenstärkung
    • z.B. Imaginationsübungen: Sicherer Ort, Tresorübung → Kontrolle über Bilder
    • → wiederholen und üben, ggf. modifizieren; Symbol → Anker (→ Gestaltungstherapie)
  • keine Entspannungs-, besser Achtsamkeitsübungen (Augen auf)
  • Modifikation dysfunktionaler Überzeugungen/Schemata, z.B. von Schuldgefühle: Psychoedukation, (Illusion von) Kontrolle, Schutz des Selbstbildes oder von Beziehungen bzw. Bild von anderen → Denkfehler der Retrospektive; Schuldgefühle vs. Schuld
  • Abbau von Sicherheits-/Vermeidungsverhalten: Exposition in vivo (Hierarchie, Alltagsrelevanz)
  • Beziehungsgestaltung: Woran erkenne ich eine gute/funktionierende Beziehung?
  • psychosoziale Reintegration:
    • soziale Unterstützung (Finanzen, Wohnen, Beruf)
    • Angehörige einbeziehen
    • Opferhilfsorganisationen, Opferentschädigungsgesetz
    • Auseinandersetzung mit Verlusten und Einbußen
    • intrapsychische Neuorientierung
    • Rückfallprophylaxe, Hilfe bei schwerer Belastung
    • Zukunftsperspektiven
  • Traumatherapie endet nicht mit der Traumabearbeitung!

weitere Therapieverfahren

Pharmakotherapie

  • in der Frühphase nach Traumatisierung
    • keine Benzos → deutliche Prognoseverschlechterung
    • andere Pharmaka: Nutzen unklar
  • bei Vollbild PTSD:
    • SSRI zugelassen (in D: Paroxetin), hochdosiert und lange
    • atypische Neuroleptika bei Therapieresistenz
    • bei Alpträumen: Prazosin 2-10 mg (Cave: Kreislauf/Blutdruck)

Quellen